Friday, November 4. 2016
Der Koch
Er verwendet meine Musik. Er sagt mir das nicht etwa, aber er versteckt es auch nicht. Zumindest nicht vor mir, wohl aber vor den anderen. Er weiß eben, dass ich niemals etwas dagegen sagen oder tun würde, es nicht könnte, natürlich nicht.
Morgen ist es soweit, die Uraufführung, endlich. Es ist warm hier, wärmer als ich es erwartet habe. Der Dirigent hat ständig verschwitzte Hände, und den Musikern ergeht es nicht viel besser. Es ist gut, dass er nicht hier ist, er würde sicher wieder schreien. Ich mag ihn nicht, wenn er schreit, aber seltsamerweise fasziniert er mich zugleich. Es ist seine Kraft, die Kraft, die in seiner ständigen Wut liegt – oder ist es der berühmte heilige Zorn? Diese Kraft, sie geht mich an, sie durchdringt mich und macht mich zu seinem Sklaven. Gut, dass er nichts davon weiß. Oder weiß er es doch? Genießt er es, mich zu quälen? Langsam und schmachtend sicherlich. Er, der Hasser meines ganzen Volkes.
Oder sind wir ein Volk, er und ich? Glaube, was ist das schon! Ich glaube nicht, habe es nie wirklich getan, schon als Kind folgte ich nur den Ritualen, so wie fast jedermann, wenn er sich nicht als Frömmler geriert. Sollte ich deshalb annehmen, verdammt zu werden, gewissermaßen in doppelter Hinsicht? Er jedenfalls legt es immer wieder darauf an, mich zu einer Position zu bewegen, macht sich in meinem Beisein lustig über die Strenggläubigen, betrachtet sie als Herdenvieh ohne die Fähigkeit selbst zu denken. Dabei glaubt er selbst so absolut, zumindest an das, was er in seiner Musik inszeniert.
Noch vor gar nicht langer Zeit war ich der Wunderknabe, um den er sich kümmern musste. Da liebte er zumindest mein Spiel, zu dessen er selbst nie fähig war. Und auch heute sucht er immer wieder meine Hilfe, allerdings eher in klingender Münze. Ich weiß es wohl, ich kenne diesen Schmerz, wozu wir ihm gut sind, meinesgleichen, wie er es wohl sagen würde, jetzt, da ich kein Sohn des Spiels mehr für ihn sein kann.
Bestohlen hat er mich, wenn man es genau nimmt. Hat meine bescheidenen Töne in sein gar so künstlerisches Ganzes entführt. Hat all das nicht zu einem Brei, vielmehr zu einem verkaufsträchtigen Feuerwerk verrührt und damit vor allem seine Sucht nach Geltung befriedigt. Dazu hat er alle Einheiten aufgelöst und seine ureigenen, selbstsüchtigen Vorstellungen in den Mittelpunkt des Tumults gestellt, um alles nach seinem Befehl, und nur nach seinem, neu zu gestalten. Als schon beschlossen betrachtet er alles, bevor es überhaupt angedacht war. Und dafür stiehlt er wie eine Elster, die auch nicht singen kann, aber mit dem melodischen Geklirr glänzender Dinge anderer hier verschwindet und dort wieder auftaucht und Aufmerksamkeit erheischt.
Aber vielleicht ist das glänzende Beiwerk auch nur Blendung, dazu gedacht, wiederum nur abzulenken von dem, was diesen Mann eigentlich antreibt, von der Begierde an sich. Hier genau treffen wir uns wiederum, Herr und Sklave, wenn auch in vollkommen verschiedene Richtungen weitergedacht wird. Ich würde es niemals wagen, natürlich nicht, ihn, auch nur angedeutet, zu bitten, die Richtung zu ändern. Ich denke aber, er weiß darum und freut sich regelrecht daran, dass mir seine Präsenz zur Pein wurde. Denn als er mir die Noten stahl, nahm er mir bereits jede Energie für etwas Großes, für eine reine und unschuldige Empfindung. Alles ist Schmutz nun, weil der Leib dem Geist die Gefolgschaft versagt, obwohl letzterer die Torheit schon erkannte. Ich, Sklave, kann nicht anders, denn er, Herr, nahm mir den Glanz, er stahl ihn mir in Tönen.
Ein Koch ist er, wenn man so will, ein Chef von außerordentlichem Geschick, der mit allerlei Zutaten, die er vorfindet, und mit der Unterstützung von allerlei Helfern und sogar anderen Köchen sein Hauptgericht mit solch eigener Würze zubereitet, dass daraus jene große Aufführung des nie Gehörten und nie Gesehenen, des unvergesslich Großartigen wird. Und das Ergebnis schreibt er dann sich alleine zu und nennt es das Elementare. Vergessen sind in diesem Moment seine Quellen, vergessen wohl schon, sobald die Aneignung vollzogen ist.
Dennoch tröstet mich diese Untat im Grunde, denn sie sorgt dafür, dass ein Stück meiner Seele, das ich ihm nicht geben kann, für immer bewahrt bleiben wird in meinen Akkorden, vorgetragen durch seine unbändige Kraft und Begierde. Denn er, der Chef de Cuisine, Verzeihung, Chef des Musique, er wird bleiben, da bin ich mir vollkommen sicher. Auch wenn seine und meine Gebeine, dann doch noch vereint, schon lange zu Erde geworden sein werden, wird seine Kraft in Tönen weiterbestehen in den Ohren und Herzen derer, die es wollen, und derer, die es nicht wollen. Denn an ihm kann niemand vorbei.
© 2016
Für CT zum 175. Und für WS, der mich gewarnt hat, die Geschichte nicht zu schreiben.
Morgen ist es soweit, die Uraufführung, endlich. Es ist warm hier, wärmer als ich es erwartet habe. Der Dirigent hat ständig verschwitzte Hände, und den Musikern ergeht es nicht viel besser. Es ist gut, dass er nicht hier ist, er würde sicher wieder schreien. Ich mag ihn nicht, wenn er schreit, aber seltsamerweise fasziniert er mich zugleich. Es ist seine Kraft, die Kraft, die in seiner ständigen Wut liegt – oder ist es der berühmte heilige Zorn? Diese Kraft, sie geht mich an, sie durchdringt mich und macht mich zu seinem Sklaven. Gut, dass er nichts davon weiß. Oder weiß er es doch? Genießt er es, mich zu quälen? Langsam und schmachtend sicherlich. Er, der Hasser meines ganzen Volkes.
Oder sind wir ein Volk, er und ich? Glaube, was ist das schon! Ich glaube nicht, habe es nie wirklich getan, schon als Kind folgte ich nur den Ritualen, so wie fast jedermann, wenn er sich nicht als Frömmler geriert. Sollte ich deshalb annehmen, verdammt zu werden, gewissermaßen in doppelter Hinsicht? Er jedenfalls legt es immer wieder darauf an, mich zu einer Position zu bewegen, macht sich in meinem Beisein lustig über die Strenggläubigen, betrachtet sie als Herdenvieh ohne die Fähigkeit selbst zu denken. Dabei glaubt er selbst so absolut, zumindest an das, was er in seiner Musik inszeniert.
Noch vor gar nicht langer Zeit war ich der Wunderknabe, um den er sich kümmern musste. Da liebte er zumindest mein Spiel, zu dessen er selbst nie fähig war. Und auch heute sucht er immer wieder meine Hilfe, allerdings eher in klingender Münze. Ich weiß es wohl, ich kenne diesen Schmerz, wozu wir ihm gut sind, meinesgleichen, wie er es wohl sagen würde, jetzt, da ich kein Sohn des Spiels mehr für ihn sein kann.
Bestohlen hat er mich, wenn man es genau nimmt. Hat meine bescheidenen Töne in sein gar so künstlerisches Ganzes entführt. Hat all das nicht zu einem Brei, vielmehr zu einem verkaufsträchtigen Feuerwerk verrührt und damit vor allem seine Sucht nach Geltung befriedigt. Dazu hat er alle Einheiten aufgelöst und seine ureigenen, selbstsüchtigen Vorstellungen in den Mittelpunkt des Tumults gestellt, um alles nach seinem Befehl, und nur nach seinem, neu zu gestalten. Als schon beschlossen betrachtet er alles, bevor es überhaupt angedacht war. Und dafür stiehlt er wie eine Elster, die auch nicht singen kann, aber mit dem melodischen Geklirr glänzender Dinge anderer hier verschwindet und dort wieder auftaucht und Aufmerksamkeit erheischt.
Aber vielleicht ist das glänzende Beiwerk auch nur Blendung, dazu gedacht, wiederum nur abzulenken von dem, was diesen Mann eigentlich antreibt, von der Begierde an sich. Hier genau treffen wir uns wiederum, Herr und Sklave, wenn auch in vollkommen verschiedene Richtungen weitergedacht wird. Ich würde es niemals wagen, natürlich nicht, ihn, auch nur angedeutet, zu bitten, die Richtung zu ändern. Ich denke aber, er weiß darum und freut sich regelrecht daran, dass mir seine Präsenz zur Pein wurde. Denn als er mir die Noten stahl, nahm er mir bereits jede Energie für etwas Großes, für eine reine und unschuldige Empfindung. Alles ist Schmutz nun, weil der Leib dem Geist die Gefolgschaft versagt, obwohl letzterer die Torheit schon erkannte. Ich, Sklave, kann nicht anders, denn er, Herr, nahm mir den Glanz, er stahl ihn mir in Tönen.
Ein Koch ist er, wenn man so will, ein Chef von außerordentlichem Geschick, der mit allerlei Zutaten, die er vorfindet, und mit der Unterstützung von allerlei Helfern und sogar anderen Köchen sein Hauptgericht mit solch eigener Würze zubereitet, dass daraus jene große Aufführung des nie Gehörten und nie Gesehenen, des unvergesslich Großartigen wird. Und das Ergebnis schreibt er dann sich alleine zu und nennt es das Elementare. Vergessen sind in diesem Moment seine Quellen, vergessen wohl schon, sobald die Aneignung vollzogen ist.
Dennoch tröstet mich diese Untat im Grunde, denn sie sorgt dafür, dass ein Stück meiner Seele, das ich ihm nicht geben kann, für immer bewahrt bleiben wird in meinen Akkorden, vorgetragen durch seine unbändige Kraft und Begierde. Denn er, der Chef de Cuisine, Verzeihung, Chef des Musique, er wird bleiben, da bin ich mir vollkommen sicher. Auch wenn seine und meine Gebeine, dann doch noch vereint, schon lange zu Erde geworden sein werden, wird seine Kraft in Tönen weiterbestehen in den Ohren und Herzen derer, die es wollen, und derer, die es nicht wollen. Denn an ihm kann niemand vorbei.
© 2016
Für CT zum 175. Und für WS, der mich gewarnt hat, die Geschichte nicht zu schreiben.
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