Thursday, September 23. 2010
Das kleine Piratenbuch (Auszug)
Divad war ein Pirat. Er war stets schwer bewaffnet. Im Gürtel hatte er einen großen, scharfen Säbel und einige kleinere und größere, nicht weniger scharfe Messer. Um seinen Kopf war ein rotes Tuch geschlungen, und im Ohr, im linken, saß ein Ohrring, golden selbstverständlich. Ansonsten trug der Pirat schmuddelige schwarze, hier und da ein wenig zerrissene Kleider und dicke, speckige, einst wohl mal sehr teure Stiefel aus Leder, deren Schäfte bis zu den Knien reichten.
Was er nicht hatte, dieser Pirat, war eine Augenklappe. Divad fand nämlich, dass Augenklappen sich gar nicht für Piraten eigneten. Ein Pirat musste doch sehr wachsam sein und sehr gut sehen können!
Divad musste sogar nachts wachsam sein. Denn wenn ihn nicht die Soldaten des Königs fangen wollten, dann konnte es passieren, dass ihm ein anderer Pirat ans Leder wollte. Und zwar tatsächlich an den kleinen Lederbeutel mit Goldstücken, den er in seinem rechten Stiefel versteckt hatte. Daher musste Divad auch nachts aufmerksam sein und konnte nie so richtig schlafen. Und das war der Grund dafür, dass Divad immer ziemlich wütend war; denn wenn man nicht genug schlafen kann und immer müde ist, dann macht einen das wütend.
Eines Tages, nach einer besonders schlechten Nacht, kam der wütende Divad in ein Fischerdorf. Er war auf der Suche nach etwas Essbarem, denn was so ein richtiger Pirat ist, der hat ja keinen Kühlschrank, an den er einfach so gehen kann, um sich etwas Leckeres heraus zu nehmen. Und wenn er nicht gerade ein Schiff gekapert hat, dann hat er nicht einmal eine Koje, in die er sich legen kann, dann schläft er einfach so im Freien.
Als Divad nun in dem Dorf die Straße entlang ging, sah er plötzlich an einer Hauswand sein Gesicht auf einem Plakat, fein gezeichnet und mit dem Wort WANTED oben drüber, und WANTED bedeutet GESUCHT! Divad kratze sich am Kopf und wusste nicht, ob er weiter in das Dorf hinein gehen sollte. Was wenn ihn jemand erkannte? Aber sein Hunger war groß und so trugen ihn seine Füße einfach weiter die Straße entlang.
Als er um eine Ecke kam, sah er sie aber gleich, die Soldaten, und dreht auf dem Absatz um. Jetzt nur ganz langsam weggehen. Jetzt nur niemanden auf sich aufmerksam machen. Zurück um die Ecke und in Sicherheit. Aber weit gefehlt!
„Divad!“ schrie es plötzlich.
Doch es war nicht etwa einer der Soldaten. Es war Nubar, sein alter Feind. Einst hatte er Nubar alles Gold abgenommen, und dann hatte der ihm wieder alles abgenommen, und so war es schon über Jahre gegangen. Und jetzt hatte Nubar ihn wieder gefunden und wollte ihn berauben und vielleicht sogar ein wenig ermorden!
Nun hatte er hinter sich die Soldaten und vor sich den alten Erzfeind. Für einen Moment wollte Divad sich in Luft auflösen, aber das ging ja nicht. Drum zog er seinen Säbel und ging auf Nubar los. Doch dieser parierte, so nennt man das, wenn man im Kampf einen Streich mit der Waffe abwehrt. Divad sprang ebenfalls aus dem Weg und wurde so nicht Nubars Säbel getroffen. Aber da knallte es plötzlich, und Nubar fiel zu Boden wie ein Sack, sein Säbel fiel ihm aus der Hand. Ohne lang zu überlegen ließ auch Divad seinen Säbel fallen und stürzte sich auf Nubar und nahm dessen ledernen Goldbeutel an sich, den dieser, wie es Sitte war, im Stiefel verwahrt hatte.
Und das war ein großes Glück, dass Divad sich auf Nubar gestürzt hatte, denn gerade als er sich fallen ließ, knallte es wieder. Blitzschnell griff Divad auch nach seinem eigenen Goldbeutel und verstaute diesen zusammen mit Nubars in seinem Hemd. Da hörte er auch schon Schritte und blieb einfach auf Nubar liegen und schloss die Augen.
Wie er da so lag, quer über Nubars Körper, liefen um ihn herum die Soldaten zusammen und gratulierten sich gegenseitig, welchen tollen Fang sie gemacht hätten. Gleich zwei gesuchte Piraten, das würde einen schönen Batzen Gold bringen!
Einer der Soldaten rief, dass man die Stiefel der Toten durchsuchen müsse, ob da vielleicht auch Gold zu finden wäre. Divad rührte sich nicht, als ihn jetzt einige Soldaten packten und herumdrehten. Er fühlte, wie man ihm die Stiefel auszog, und dann fluchten die Männer, weil sie nichts darin fanden.
Am Bauch fühlte sich sein Hemd etwas nass an; das musste wohl Nubars Blut sein, das sein Hemd durchdrungen hatte, als er auf dem Toten gelegen hatte. Divad spürte, wie ihm jemand die Messer aus dem Gürtel zog. Und dann hörte er, dass man auch Nubar die Stiefel auszog, und wieder fluchten die Soldaten. Dann rief einer von ihnen, man solle den Totengräber holen, damit die Piraten nicht Schimmel ansetzten. Ein wildes Gerufe und Befehleschreien begann, weil jeder Soldat einen unter sich hatte, dem er auftragen konnte, die Arbeit zu tun.
Schließlich gingen die Soldaten fort, und ein Mann, der einen Holzkarren zog, kam die Straße entlang. Er hatte noch einen Kollegen dabei, und sie machten sich daran, Divad auf den Karren zu werfen. Und bevor dieser es begriffen hatte, war er auch schon geworfen worden. Aua!
Kaum hatte Divad sich von dem Schrecken erholt, da landete der schwere Körper von Nubar auf seinem, und er konnte nur mit Mühe einen Schrei unterdrücken. Eines war klar, wäre es nicht ums schießen oder Säbelrasseln gegangen, sondern ums Ringen oder Schlamm-Catchen, dann hätte er, Divad, keine Chance gehabt, so schwer wie Nubar war.
Und ganz plötzlich tat es Divad ein wenig Leid, dass sein Erzfeind tot war. Aber das Gefühl hielt nicht lange an, denn das Gewicht des Toten nahm ihm die Kraft zum Atmen. Er musste bald darunter hervor kommen, sonst würde auch sein letztes Stündlein geschlagen haben.
Zu Glück rollte der Wagen jetzt mit solch einem Ruck an, dass Nubar etwas von Divads Brust herunter rutschte. Aber wohin ging es?
Divad blinzelt vorsichtig durch seine Wimpern und sah blauen Himmel mit ein paar weißen Wattewölkchen über sich, weil er doch auf dem Rücken gelandet war, als die Männer ihn auf den Wagen warfen.
Der Himmel sah schön aus. So friedlich. Und abgesehen davon, dass Nubars Körper immer noch schwer war und Divad nicht wusste, wo man ihn hinbrachte, war er mit einem Mal nicht mehr wütend, dass man ihn gefangen hatte, und auch nicht, dass er immer noch müde und hungrig war. Im Gegenteil, er wurde ganz ruhig und immer, immer müder. Der Himmel, so blau, und die Wölkchen, so weiß, zogen über ihn hinweg, und er schloss die Augen wieder ganz fest zu, und, schwups, war er eingeschlafen.
Nun könnte man meinen, dass es mit unserem Divad zu Ende ging, weil man ihn vielleicht zusammen mit Nubar einfach so in eine Grube warf.
Tatsache ist, dass Divad erwachte und für einen Moment nicht wusste, wo er war. Noch immer lag etwas Schweres auf ihm, aber er wusste erst nicht, was es war. Er hatte die Augen weit aufgerissen, sah aber trotzdem nichts. Er blinzelte ein paar Mal und riss die Augen noch weiter auf, und da sah er etwas blinken. Ganz oben am Himmel funkelte ein Stern. Und da, noch einer. Und noch einer.
Jetzt verstand Divad, dass er so lange geschlafen hatte, bis es Nacht geworden war. Und er wusste auch, dass es immer noch Nubar war, der da tot auf ihm lag. Plötzlich tat ihm das furchtbar Leid, dass Nubar tot war, und nicht mehr nur ein wenig. Er dachte, dass sie lieber zusammen in eine Kneipe hätten gehen sollen, statt sich immerzu gegenseitig Gold zu stehlen oder sich zu bedrohen oder gar töten zu wollen. Er musste sich jetzt so schnell wie möglich aus seiner unmöglichen Lage befreien und wollte in Zukunft ein wenig weniger böse sein.
Fortsetzung auf Anforderung
© 2010
für david und rabun
Was er nicht hatte, dieser Pirat, war eine Augenklappe. Divad fand nämlich, dass Augenklappen sich gar nicht für Piraten eigneten. Ein Pirat musste doch sehr wachsam sein und sehr gut sehen können!
Divad musste sogar nachts wachsam sein. Denn wenn ihn nicht die Soldaten des Königs fangen wollten, dann konnte es passieren, dass ihm ein anderer Pirat ans Leder wollte. Und zwar tatsächlich an den kleinen Lederbeutel mit Goldstücken, den er in seinem rechten Stiefel versteckt hatte. Daher musste Divad auch nachts aufmerksam sein und konnte nie so richtig schlafen. Und das war der Grund dafür, dass Divad immer ziemlich wütend war; denn wenn man nicht genug schlafen kann und immer müde ist, dann macht einen das wütend.
Eines Tages, nach einer besonders schlechten Nacht, kam der wütende Divad in ein Fischerdorf. Er war auf der Suche nach etwas Essbarem, denn was so ein richtiger Pirat ist, der hat ja keinen Kühlschrank, an den er einfach so gehen kann, um sich etwas Leckeres heraus zu nehmen. Und wenn er nicht gerade ein Schiff gekapert hat, dann hat er nicht einmal eine Koje, in die er sich legen kann, dann schläft er einfach so im Freien.
Als Divad nun in dem Dorf die Straße entlang ging, sah er plötzlich an einer Hauswand sein Gesicht auf einem Plakat, fein gezeichnet und mit dem Wort WANTED oben drüber, und WANTED bedeutet GESUCHT! Divad kratze sich am Kopf und wusste nicht, ob er weiter in das Dorf hinein gehen sollte. Was wenn ihn jemand erkannte? Aber sein Hunger war groß und so trugen ihn seine Füße einfach weiter die Straße entlang.
Als er um eine Ecke kam, sah er sie aber gleich, die Soldaten, und dreht auf dem Absatz um. Jetzt nur ganz langsam weggehen. Jetzt nur niemanden auf sich aufmerksam machen. Zurück um die Ecke und in Sicherheit. Aber weit gefehlt!
„Divad!“ schrie es plötzlich.
Doch es war nicht etwa einer der Soldaten. Es war Nubar, sein alter Feind. Einst hatte er Nubar alles Gold abgenommen, und dann hatte der ihm wieder alles abgenommen, und so war es schon über Jahre gegangen. Und jetzt hatte Nubar ihn wieder gefunden und wollte ihn berauben und vielleicht sogar ein wenig ermorden!
Nun hatte er hinter sich die Soldaten und vor sich den alten Erzfeind. Für einen Moment wollte Divad sich in Luft auflösen, aber das ging ja nicht. Drum zog er seinen Säbel und ging auf Nubar los. Doch dieser parierte, so nennt man das, wenn man im Kampf einen Streich mit der Waffe abwehrt. Divad sprang ebenfalls aus dem Weg und wurde so nicht Nubars Säbel getroffen. Aber da knallte es plötzlich, und Nubar fiel zu Boden wie ein Sack, sein Säbel fiel ihm aus der Hand. Ohne lang zu überlegen ließ auch Divad seinen Säbel fallen und stürzte sich auf Nubar und nahm dessen ledernen Goldbeutel an sich, den dieser, wie es Sitte war, im Stiefel verwahrt hatte.
Und das war ein großes Glück, dass Divad sich auf Nubar gestürzt hatte, denn gerade als er sich fallen ließ, knallte es wieder. Blitzschnell griff Divad auch nach seinem eigenen Goldbeutel und verstaute diesen zusammen mit Nubars in seinem Hemd. Da hörte er auch schon Schritte und blieb einfach auf Nubar liegen und schloss die Augen.
Wie er da so lag, quer über Nubars Körper, liefen um ihn herum die Soldaten zusammen und gratulierten sich gegenseitig, welchen tollen Fang sie gemacht hätten. Gleich zwei gesuchte Piraten, das würde einen schönen Batzen Gold bringen!
Einer der Soldaten rief, dass man die Stiefel der Toten durchsuchen müsse, ob da vielleicht auch Gold zu finden wäre. Divad rührte sich nicht, als ihn jetzt einige Soldaten packten und herumdrehten. Er fühlte, wie man ihm die Stiefel auszog, und dann fluchten die Männer, weil sie nichts darin fanden.
Am Bauch fühlte sich sein Hemd etwas nass an; das musste wohl Nubars Blut sein, das sein Hemd durchdrungen hatte, als er auf dem Toten gelegen hatte. Divad spürte, wie ihm jemand die Messer aus dem Gürtel zog. Und dann hörte er, dass man auch Nubar die Stiefel auszog, und wieder fluchten die Soldaten. Dann rief einer von ihnen, man solle den Totengräber holen, damit die Piraten nicht Schimmel ansetzten. Ein wildes Gerufe und Befehleschreien begann, weil jeder Soldat einen unter sich hatte, dem er auftragen konnte, die Arbeit zu tun.
Schließlich gingen die Soldaten fort, und ein Mann, der einen Holzkarren zog, kam die Straße entlang. Er hatte noch einen Kollegen dabei, und sie machten sich daran, Divad auf den Karren zu werfen. Und bevor dieser es begriffen hatte, war er auch schon geworfen worden. Aua!
Kaum hatte Divad sich von dem Schrecken erholt, da landete der schwere Körper von Nubar auf seinem, und er konnte nur mit Mühe einen Schrei unterdrücken. Eines war klar, wäre es nicht ums schießen oder Säbelrasseln gegangen, sondern ums Ringen oder Schlamm-Catchen, dann hätte er, Divad, keine Chance gehabt, so schwer wie Nubar war.
Und ganz plötzlich tat es Divad ein wenig Leid, dass sein Erzfeind tot war. Aber das Gefühl hielt nicht lange an, denn das Gewicht des Toten nahm ihm die Kraft zum Atmen. Er musste bald darunter hervor kommen, sonst würde auch sein letztes Stündlein geschlagen haben.
Zu Glück rollte der Wagen jetzt mit solch einem Ruck an, dass Nubar etwas von Divads Brust herunter rutschte. Aber wohin ging es?
Divad blinzelt vorsichtig durch seine Wimpern und sah blauen Himmel mit ein paar weißen Wattewölkchen über sich, weil er doch auf dem Rücken gelandet war, als die Männer ihn auf den Wagen warfen.
Der Himmel sah schön aus. So friedlich. Und abgesehen davon, dass Nubars Körper immer noch schwer war und Divad nicht wusste, wo man ihn hinbrachte, war er mit einem Mal nicht mehr wütend, dass man ihn gefangen hatte, und auch nicht, dass er immer noch müde und hungrig war. Im Gegenteil, er wurde ganz ruhig und immer, immer müder. Der Himmel, so blau, und die Wölkchen, so weiß, zogen über ihn hinweg, und er schloss die Augen wieder ganz fest zu, und, schwups, war er eingeschlafen.
Nun könnte man meinen, dass es mit unserem Divad zu Ende ging, weil man ihn vielleicht zusammen mit Nubar einfach so in eine Grube warf.
Tatsache ist, dass Divad erwachte und für einen Moment nicht wusste, wo er war. Noch immer lag etwas Schweres auf ihm, aber er wusste erst nicht, was es war. Er hatte die Augen weit aufgerissen, sah aber trotzdem nichts. Er blinzelte ein paar Mal und riss die Augen noch weiter auf, und da sah er etwas blinken. Ganz oben am Himmel funkelte ein Stern. Und da, noch einer. Und noch einer.
Jetzt verstand Divad, dass er so lange geschlafen hatte, bis es Nacht geworden war. Und er wusste auch, dass es immer noch Nubar war, der da tot auf ihm lag. Plötzlich tat ihm das furchtbar Leid, dass Nubar tot war, und nicht mehr nur ein wenig. Er dachte, dass sie lieber zusammen in eine Kneipe hätten gehen sollen, statt sich immerzu gegenseitig Gold zu stehlen oder sich zu bedrohen oder gar töten zu wollen. Er musste sich jetzt so schnell wie möglich aus seiner unmöglichen Lage befreien und wollte in Zukunft ein wenig weniger böse sein.
Fortsetzung auf Anforderung
© 2010
für david und rabun
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