Nach den Erfahrungen von Dolmetscherinnen sind Untersuchungen von Kindern gehörloser Eltern auf mögliche Gehörlosigkeit der Kinder das reinste Horrorkabinett.
Man überlege sich das: HNO-Klinik. Der Arzt bekommt mit, dass die Eltern ihn nicht verstehen. Ach so, Sie sind Ausländer. Er versucht es auf Englisch. Hallo? HNO-Klinik? Untersuchung des Kindes auf Taubheit? Könnte es unter Umständen möglich sein, dass die Eltern gehörlos sind? Aha, er hat es verstanden.
Oder doch nicht? Die Dolmetscherin stört ihn. Immer steht die im Weg rum. Kann die nicht rausgehen? Nein?! Wieso nicht? Äh.. Dolmetscherin? Gebärdensprache?
Nun ja. Wenn der Arzt selbst Gebärdensprache könnte, was nach Vorgaben der Inklusion in einer HNO-Klinik eigentlich Standard sein sollte, dann hätte er auch nicht das Problem mit zu vielen Menschen im einem Raum. Ein größerer Raum wäre natürlich auch von Vorteil. Aber jetzt schreit auch noch das Kind, weil die Untersuchung am Ohr unangenehm ist. Können Sie das nicht abstellen?, will er von den Eltern wissen. Wie bitte? Es ist ein kleines Kind. Kaum ein Kind weint nicht bei einer solchen ärztlichen Untersuchung. Und das Weinen, das weiß der Herr Doktor offenbar auch nicht, ist eine Form der Kommunikation. Doch die beherrscht er ja in dieser Konstellation ohnehin nicht.
Zumal sich nun auch noch herausstellt, dass das Kind taub ist. Gehörlos also. Die Eltern nehmen es zur Kenntnis. Doch mit der Information, dass ihr Kind, wie sie selbst, gehörlos ist, teilt ihnen der Arzt sogleich den Termin der nächsten OP mit. Wie bitte? Welche OP?, wollen die Eltern wissen. Na, CI! Jetzt muss ein Cochlea-Implantat her. Aber wieso? Die Eltern fühlen sich überrumpelt.
Ihnen geht es jetzt gar nicht darum, dass ein Implantat eher selten dazu führt, dass ein gehörloser Mensch hört, was Hörende hören. Dass Hörerfolge sich oft auch gar nicht einstellen. Dass mit dem Implantat das Resthörvermögen verloren geht. Es geht ihnen auch noch nicht einmal darum, dass es lebensgefährliche Risiken bei solchen Implantaten gibt, wovon Hirnhautentzündung oder andere Infektion noch die geringsten Folgen sind. Auch nicht um Folgen wie Schwindelanfälle oder Tinitus oder Störung der Geschmacksnerven. Zumal, wer lässt sich schon gerne in den Kopf bohren?
Aber all das bewegt die Eltern jetzt gerade noch nicht. Nicht einmal der Umstand, dass ihre Kultur und Sprache hier in Frage gestellt werden. Sie wollen nur erst einmal in Ruhe zu Hause nachdenken. Das ist alles. Der Arzt reagiert entsetzt. Soll er nicht am besten gleich das Jugendamt einschalten? Gerichtlich eine Zwangsbehandlung erwirken? Warum begreifen die Eltern nicht?
Die Frage ist wohl eher, WER hier nicht begreift! Die Chirurgen der HNO-Kliniken sollten aufpassen. Sie nähern sich mit Riesenschritten dem Ruf des Doktor Frankenstein.
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