Tuesday, June 9. 2015
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Sie musste lachen. Das war das dritte Mal heute. Er war witzig. Und seine Art zu schreiben imponierte ihr schon lange.
Aber was war das sonst? Zuneigung konnte es doch nicht sein. Schließlich war er nichts als eine Reihe von Sätzen. Weniger als eine Romanfigur, von der man meistens zumindest wusste, wie sie aussieht, und manchmal sogar, was sie wirklich denkt. Für die gab es nämlich kein Verstecken. Romanfiguren ließ man deshalb auch ohne zu zögern an sich heran, sie konnten einem schließlich nicht schaden. Kletterten nicht einfach aus dem Text und standen dann vor der Tür.
Hier bestand diese Gefahr, war regelrecht akut. Hatte er doch schon vorgeschlagen sich zu treffen. Hatte es zwar in einen Scherz hineinformuliert und sie war nicht darauf eingegangen. Trotzdem. Über kurz oder lang würde sie sich entscheiden müssen.
Nichts erschien ihr im Moment endgültiger, denn wenn sie sich erst einmal getroffen haben würden, wäre nichts mehr wie zuvor. Nie wieder würden sie so unbeschwert ihre getippten Worte austauschen, nie wieder so frei und unbelastet von Attributen und anderem Gepäck. Waren zum Beispiel auch nur das Groß oder Klein, das Dick oder Dünn, das Stark oder Schwach oder gar das Arm oder Reich erst einmal manifestiert, dann wäre alles, das als nebelhafter Traum zwischen ihnen im virtuellen Raum stand, ein für alle mal passé. Wollte sie das?
Andererseits war es ein aufregender Gedanke, ihm endlich gegenüberzustehen. Denn war das nicht immer das Ziel ihres gemeinsamen Weges gewesen? Aber würde er ihr genau so sympathisch und nahe sein wie jetzt? Ebenso witzig? Klug? Womöglich sexy?
Das ganze Geschreibe hatte auf jeden Fall auch eine sexuelle Komponente, wenn man das so ausdrücken wollte. Sie hätte auch sagen können, es war erregend. Häufig zumindest. Man war sich so nah, fast verschmolzen, ohne sich zu bedrängen, weil man sich doch nie berührte, nicht einmal sah. Verrückt eigentlich.
Sie musste lachen. Erinnerte sie sich doch gerade an einige seiner besten Sprüche. Und natürlich an den Moment, an dem sie entschieden hatte, hierher zu kommen. Als er nämlich erklärt hatte, dass sie sich genau zwei Jahre kannten und ihr – das zweite Jahr in Folge – einen virtuellen Strauß Rosen zu Füßen gelegt hatte. Beim ersten Mal war es nichts als ein Spaß gewesen. Diesmal war es etwas anderes. Schon seltsam, wie seitdem die erwartungsvolle Spannung immer stärker geworden war, bis diese sie ganz und gar eingenommen hatte. Wie sie sich außerdem fühlte, als würde sie etwas Verbotenes tun. Dabei interessierte es niemanden außer sie selbst und hoffentlich ihn, dass sie auf dem Weg zu ihrem gemeinsamen Treffpunkt war, der nun nicht länger, weder räumlich noch zeitlich, in absoluter Ferne lag.
Sie war aber auch niemandem Rechenschaft schuldig. Oder doch? Diesen Gedanken wollte sie fortwischen, aber er ließ sich nicht vertreiben. Furchtbar war das! Ein wenig so, als würde man sich, völlig unbescholten, sofort schuldig fühlen, wenn einem ein Polizist entgegen trat.
Sie schüttelte den Kopf, als müsse sie einen Schwindel bekämpfen. Es hatte ihm gar nicht gefallen, aber das war verständlich. Wie sagte man so schön: So nah und doch so fern.
Sie war wieder umgekehrt. Hatte ihm eine Nachricht geschickt, dass sie doch nicht kommen konnte. Nicht jetzt zumindest. Hatte ihm dann, weil sie auf nichts anderes kam, von Jo erzählt. Der praktisch gar nicht relevant war, wie sie ihm erklärte. Der aber doch eben da war. Was sie zwingen würde, erst einmal reinen Tisch zu machen. Was eigentlich nicht einmal etwas mit ihm zu tun hatte. Eigentlich gar nichts.
Das Ganze Reinemachen würde auch gar nicht lange dauern, denn Jo war ziemlich unbeteiligt. Es war regelrecht seine Natur, das Unbeteiligtsein, hatte sie gesagt. Er würde praktisch nicht einmal das tun, was in Romanen als Achselzucken bezeichnet wurde, was immer das auch für eine Bewegung sein mochte, so ganz genau wusste sie das nämlich nicht. Es war schon interessant, denn er hatte in jedem Fall öfter ein Achselzucken sehen, weil lesen lassen, als Jo es jemals in der Realität hätte tun können. Weil es ihn gar nicht gab. Aber das sagte sie ihm nicht.
Stattdessen gab sie, als sie fertig war, sich zu verstecken, an, dass sie den reinen Tisch im Gepäck hätte und ihm daher ein neues Datum vorschlagen würde. Aber er reagierte nicht darauf. Als sie ihn dann zu Rede stellte – oder zur Schrift? – hatte er ihr bedeutet, dass er ein reales Treffen für keine gute Idee hielt. Nicht mehr, hatte er hinzugefügt.
Sie starrte vor sich hin. Der Umzug war ihr nicht schwer gefallen. Ihre Mutter war schon lange tot und mit ihrem Vater hatte sie nur sporadisch Kontakt, wenn er auch in der Nachbarstadt wohnte. Andere Verwandte waren entweder nicht vorhanden oder sie sah sie noch seltener als selten, somit waren sie ohnehin nicht relevant. Arbeit im Gaststättengewerbe, wie sie es gewohnt war, gab es nach wie vor fast in jeder größeren Stadt, und was das Wohnen betraf, waren ihre Ansprüche nicht hoch.
Gesagt hatte sie ihm nicht, dass sie umgezogen war, und die Frage nach der veränderten IP hatte er nie gestellt, obwohl sie eine wohlüberlegte Antwort parat gehabt hätte, nämlich den Wechsel des Internetanbieters. Das war ja auch nicht einmal gelogen.
Mittlerweile kam er schon jeden zweiten Tag ins Café. Bestellte Kaffee oder Cappuccino und hatte keine Ahnung bei wem. Sie hingegen wusste längst, wer er war. Denn schon als er das erste Mal zur Tür herein gekommen war, seit sie hier arbeitete, hatte ihn ein Kumpel lautstark begrüßt, der sich gerade ein Eis mit seiner Freundin teilte. Dann waren die beiden rausgegangen, um zu rauchen. Er hatte nie davon geschrieben, dass er rauchte, aber vielleicht war es auch nicht er, sondern der nur Kumpel, aber sie konnte kaum rausgehen und nachsehen. Immerhin hatte sie ihn also gleich erkannt, nicht im biblischen Sinne, oder vielleicht doch, aber das noch immer virtuell, aber nicht mehr online.
Sie trafen sich tatsächlich auch sonst nicht mehr zu oft im Netz. Offenbar war auch die Tatsache, dass sie sich nicht getroffen hatten, einschneidend gewesen. Schade wohl. Nun waren da jede Menge Attribute, auch ohne Augenzeugnisse.
Genau betrachtet lachte er nie wirklich. Etwas schien ihn immer zurückzuhalten, so als lache er ohne seine Augen, und damit ohne sein Innerstes.
Ach was, diese Attribute machten einen ganz kirre! Schließlich war sie weder Seelenklempner noch besonders begabt in Liebesdingen, sonst säße sie wohl kaum hier am Büffet, sondern wäre bei ihm am Tisch, womöglich seinen Arm um ihre Schulter.
Herrschaftszeiten, jetzt saß sie schon jedem nur erdenklichen Filmklischee auf. Er bemerkte sie ja nicht mal, blickte oft einfach durch sie hindurch und war auch kein besonders freigebiger Trinkgeldgeber. Allerdings hatte er auch nie eine Frau dabei. Die jeweilige Begleiterin des Tages gehörte stets zu seinem Freund.
Seine Stimmung bezüglich eines Treffens hatte sich noch immer nicht geändert. Seit sie damals von Jo erzählt hatte, war er deswegen sehr zurückhaltend und akzeptierte offenbar auch nicht, dass der Tisch inzwischen längst rein wahr, wohl weil er nicht wissen konnte, dass sie den Schmutz, aus Angst vor ihrer eigenen Courage, erfunden hatte.
Die Trauer in seinen Augen jedenfalls schien seine Substanz zu sein. Deren Zustand änderte sich nie, auch dann nicht, wenn er besonders glückliche Momente zu erleben schien. Was immer einen in einem Eiscafé eben so glücklich machen konnte.
Sie seufzte. Ein erneuter Umzug würde sich schon schwieriger gestalten, zumal er ganz plötzlich hinter ihre veränderte IP gekommen war. Schon wieder einen Providerwechsel konnte sie ihm wohl kaum verkaufen. Auch war er online offenbar ebenso traurig geworden wie "in realitas". Nein. So hieß nicht das Café. Das hatte doch tatsächlich das dumme Gör gefragt, das heute seines Freundes Gast war, als die Rede aufs Chatten kam. Oder war die Tussi diesmal sogar mit ihm gekommen?
Sie musste jedenfalls hier weg. Koste, was es wolle? Na, das vielleicht nicht, aber es würde auch nicht ganz so teuer werden. Erst einmal galt es ja auch zu entscheiden wohin. Und dann würde sie wohl auch nicht mehr online gehen können, zunächst. Sie musste ihm das zumindest erklären. So viel war sie ihm schuldig.
Sie verzog den Mund. Eine Mail hatte sie schon mal zustande gebracht. In der stand die relative Wahrheit, dass sie in Kürze umziehen würde und erst einmal nicht wieder ins Netz käme. Vielleicht eher zu ihrem eigenen Trost hatte sie erwähnt, dass er in letzter Zeit ohnehin mehr mit seinem Kumpel im Café saß und daher selbst wenig Real Time hätte, nicht wahr? Im P.S., das sie, fast wider Willen, doch noch angefügt hatte, gab sie zu, dass Jo eine virtuelle Größe gewesen war. Reinen Tisch auf der ganzen Zeile.
Sie erschrak. Noch das Pad vor sich, hatte sie ihn beobachtet, während er las. Er hatte den Blick vom Display seines Telefons genommen und traf nun den ihren, und zwar direkt. In seinem Gesicht spielte sich ab, was er dachte, und sie erkannte den Wandel vom ersten Erfassen bis zum vollständigen Begreifen, welchen er in wenigen Sekunden vollzog. Dann schien die Zeit für einen Moment still zu stehen, während er ihren Blick hielt. Schließlich schüttelte er langsam den Kopf, was sicher mit ungläubig zu attributieren wäre. Ein Lächeln schlich sich noch langsamer auf sein Gesicht, und siehe da, es erreichte auch die Augen. Dann stand er auf.
© 2015
to Julia W.
Aber was war das sonst? Zuneigung konnte es doch nicht sein. Schließlich war er nichts als eine Reihe von Sätzen. Weniger als eine Romanfigur, von der man meistens zumindest wusste, wie sie aussieht, und manchmal sogar, was sie wirklich denkt. Für die gab es nämlich kein Verstecken. Romanfiguren ließ man deshalb auch ohne zu zögern an sich heran, sie konnten einem schließlich nicht schaden. Kletterten nicht einfach aus dem Text und standen dann vor der Tür.
Hier bestand diese Gefahr, war regelrecht akut. Hatte er doch schon vorgeschlagen sich zu treffen. Hatte es zwar in einen Scherz hineinformuliert und sie war nicht darauf eingegangen. Trotzdem. Über kurz oder lang würde sie sich entscheiden müssen.
Nichts erschien ihr im Moment endgültiger, denn wenn sie sich erst einmal getroffen haben würden, wäre nichts mehr wie zuvor. Nie wieder würden sie so unbeschwert ihre getippten Worte austauschen, nie wieder so frei und unbelastet von Attributen und anderem Gepäck. Waren zum Beispiel auch nur das Groß oder Klein, das Dick oder Dünn, das Stark oder Schwach oder gar das Arm oder Reich erst einmal manifestiert, dann wäre alles, das als nebelhafter Traum zwischen ihnen im virtuellen Raum stand, ein für alle mal passé. Wollte sie das?
Andererseits war es ein aufregender Gedanke, ihm endlich gegenüberzustehen. Denn war das nicht immer das Ziel ihres gemeinsamen Weges gewesen? Aber würde er ihr genau so sympathisch und nahe sein wie jetzt? Ebenso witzig? Klug? Womöglich sexy?
Das ganze Geschreibe hatte auf jeden Fall auch eine sexuelle Komponente, wenn man das so ausdrücken wollte. Sie hätte auch sagen können, es war erregend. Häufig zumindest. Man war sich so nah, fast verschmolzen, ohne sich zu bedrängen, weil man sich doch nie berührte, nicht einmal sah. Verrückt eigentlich.
Sie musste lachen. Erinnerte sie sich doch gerade an einige seiner besten Sprüche. Und natürlich an den Moment, an dem sie entschieden hatte, hierher zu kommen. Als er nämlich erklärt hatte, dass sie sich genau zwei Jahre kannten und ihr – das zweite Jahr in Folge – einen virtuellen Strauß Rosen zu Füßen gelegt hatte. Beim ersten Mal war es nichts als ein Spaß gewesen. Diesmal war es etwas anderes. Schon seltsam, wie seitdem die erwartungsvolle Spannung immer stärker geworden war, bis diese sie ganz und gar eingenommen hatte. Wie sie sich außerdem fühlte, als würde sie etwas Verbotenes tun. Dabei interessierte es niemanden außer sie selbst und hoffentlich ihn, dass sie auf dem Weg zu ihrem gemeinsamen Treffpunkt war, der nun nicht länger, weder räumlich noch zeitlich, in absoluter Ferne lag.
Sie war aber auch niemandem Rechenschaft schuldig. Oder doch? Diesen Gedanken wollte sie fortwischen, aber er ließ sich nicht vertreiben. Furchtbar war das! Ein wenig so, als würde man sich, völlig unbescholten, sofort schuldig fühlen, wenn einem ein Polizist entgegen trat.
Sie schüttelte den Kopf, als müsse sie einen Schwindel bekämpfen. Es hatte ihm gar nicht gefallen, aber das war verständlich. Wie sagte man so schön: So nah und doch so fern.
Sie war wieder umgekehrt. Hatte ihm eine Nachricht geschickt, dass sie doch nicht kommen konnte. Nicht jetzt zumindest. Hatte ihm dann, weil sie auf nichts anderes kam, von Jo erzählt. Der praktisch gar nicht relevant war, wie sie ihm erklärte. Der aber doch eben da war. Was sie zwingen würde, erst einmal reinen Tisch zu machen. Was eigentlich nicht einmal etwas mit ihm zu tun hatte. Eigentlich gar nichts.
Das Ganze Reinemachen würde auch gar nicht lange dauern, denn Jo war ziemlich unbeteiligt. Es war regelrecht seine Natur, das Unbeteiligtsein, hatte sie gesagt. Er würde praktisch nicht einmal das tun, was in Romanen als Achselzucken bezeichnet wurde, was immer das auch für eine Bewegung sein mochte, so ganz genau wusste sie das nämlich nicht. Es war schon interessant, denn er hatte in jedem Fall öfter ein Achselzucken sehen, weil lesen lassen, als Jo es jemals in der Realität hätte tun können. Weil es ihn gar nicht gab. Aber das sagte sie ihm nicht.
Stattdessen gab sie, als sie fertig war, sich zu verstecken, an, dass sie den reinen Tisch im Gepäck hätte und ihm daher ein neues Datum vorschlagen würde. Aber er reagierte nicht darauf. Als sie ihn dann zu Rede stellte – oder zur Schrift? – hatte er ihr bedeutet, dass er ein reales Treffen für keine gute Idee hielt. Nicht mehr, hatte er hinzugefügt.
Sie starrte vor sich hin. Der Umzug war ihr nicht schwer gefallen. Ihre Mutter war schon lange tot und mit ihrem Vater hatte sie nur sporadisch Kontakt, wenn er auch in der Nachbarstadt wohnte. Andere Verwandte waren entweder nicht vorhanden oder sie sah sie noch seltener als selten, somit waren sie ohnehin nicht relevant. Arbeit im Gaststättengewerbe, wie sie es gewohnt war, gab es nach wie vor fast in jeder größeren Stadt, und was das Wohnen betraf, waren ihre Ansprüche nicht hoch.
Gesagt hatte sie ihm nicht, dass sie umgezogen war, und die Frage nach der veränderten IP hatte er nie gestellt, obwohl sie eine wohlüberlegte Antwort parat gehabt hätte, nämlich den Wechsel des Internetanbieters. Das war ja auch nicht einmal gelogen.
Mittlerweile kam er schon jeden zweiten Tag ins Café. Bestellte Kaffee oder Cappuccino und hatte keine Ahnung bei wem. Sie hingegen wusste längst, wer er war. Denn schon als er das erste Mal zur Tür herein gekommen war, seit sie hier arbeitete, hatte ihn ein Kumpel lautstark begrüßt, der sich gerade ein Eis mit seiner Freundin teilte. Dann waren die beiden rausgegangen, um zu rauchen. Er hatte nie davon geschrieben, dass er rauchte, aber vielleicht war es auch nicht er, sondern der nur Kumpel, aber sie konnte kaum rausgehen und nachsehen. Immerhin hatte sie ihn also gleich erkannt, nicht im biblischen Sinne, oder vielleicht doch, aber das noch immer virtuell, aber nicht mehr online.
Sie trafen sich tatsächlich auch sonst nicht mehr zu oft im Netz. Offenbar war auch die Tatsache, dass sie sich nicht getroffen hatten, einschneidend gewesen. Schade wohl. Nun waren da jede Menge Attribute, auch ohne Augenzeugnisse.
Genau betrachtet lachte er nie wirklich. Etwas schien ihn immer zurückzuhalten, so als lache er ohne seine Augen, und damit ohne sein Innerstes.
Ach was, diese Attribute machten einen ganz kirre! Schließlich war sie weder Seelenklempner noch besonders begabt in Liebesdingen, sonst säße sie wohl kaum hier am Büffet, sondern wäre bei ihm am Tisch, womöglich seinen Arm um ihre Schulter.
Herrschaftszeiten, jetzt saß sie schon jedem nur erdenklichen Filmklischee auf. Er bemerkte sie ja nicht mal, blickte oft einfach durch sie hindurch und war auch kein besonders freigebiger Trinkgeldgeber. Allerdings hatte er auch nie eine Frau dabei. Die jeweilige Begleiterin des Tages gehörte stets zu seinem Freund.
Seine Stimmung bezüglich eines Treffens hatte sich noch immer nicht geändert. Seit sie damals von Jo erzählt hatte, war er deswegen sehr zurückhaltend und akzeptierte offenbar auch nicht, dass der Tisch inzwischen längst rein wahr, wohl weil er nicht wissen konnte, dass sie den Schmutz, aus Angst vor ihrer eigenen Courage, erfunden hatte.
Die Trauer in seinen Augen jedenfalls schien seine Substanz zu sein. Deren Zustand änderte sich nie, auch dann nicht, wenn er besonders glückliche Momente zu erleben schien. Was immer einen in einem Eiscafé eben so glücklich machen konnte.
Sie seufzte. Ein erneuter Umzug würde sich schon schwieriger gestalten, zumal er ganz plötzlich hinter ihre veränderte IP gekommen war. Schon wieder einen Providerwechsel konnte sie ihm wohl kaum verkaufen. Auch war er online offenbar ebenso traurig geworden wie "in realitas". Nein. So hieß nicht das Café. Das hatte doch tatsächlich das dumme Gör gefragt, das heute seines Freundes Gast war, als die Rede aufs Chatten kam. Oder war die Tussi diesmal sogar mit ihm gekommen?
Sie musste jedenfalls hier weg. Koste, was es wolle? Na, das vielleicht nicht, aber es würde auch nicht ganz so teuer werden. Erst einmal galt es ja auch zu entscheiden wohin. Und dann würde sie wohl auch nicht mehr online gehen können, zunächst. Sie musste ihm das zumindest erklären. So viel war sie ihm schuldig.
Sie verzog den Mund. Eine Mail hatte sie schon mal zustande gebracht. In der stand die relative Wahrheit, dass sie in Kürze umziehen würde und erst einmal nicht wieder ins Netz käme. Vielleicht eher zu ihrem eigenen Trost hatte sie erwähnt, dass er in letzter Zeit ohnehin mehr mit seinem Kumpel im Café saß und daher selbst wenig Real Time hätte, nicht wahr? Im P.S., das sie, fast wider Willen, doch noch angefügt hatte, gab sie zu, dass Jo eine virtuelle Größe gewesen war. Reinen Tisch auf der ganzen Zeile.
Sie erschrak. Noch das Pad vor sich, hatte sie ihn beobachtet, während er las. Er hatte den Blick vom Display seines Telefons genommen und traf nun den ihren, und zwar direkt. In seinem Gesicht spielte sich ab, was er dachte, und sie erkannte den Wandel vom ersten Erfassen bis zum vollständigen Begreifen, welchen er in wenigen Sekunden vollzog. Dann schien die Zeit für einen Moment still zu stehen, während er ihren Blick hielt. Schließlich schüttelte er langsam den Kopf, was sicher mit ungläubig zu attributieren wäre. Ein Lächeln schlich sich noch langsamer auf sein Gesicht, und siehe da, es erreichte auch die Augen. Dann stand er auf.
© 2015
to Julia W.
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