Wednesday, December 21. 2011
Der Fremde auf dem Flur
Eine Weihnachtsgeschichte
Jannik war sich ganz sicher. Der Mann, der da plötzlich auf dem Schulflur stand, war ein Betrüger. Der war nämlich erst kurz nach dem Ende der Großen Pause, als es gerade geblinkt hatte, auf den Schulhof gekommen, und da hatte er noch keinen Bart gehabt. Jetzt jedenfalls hatte er einen, einen weißen auch noch, dabei waren seine Haare ganz schwarz. Wo gab’s denn so was?
Und noch was war komisch an dem Mann. Jannik hätte schwören können, dass er auch dünner gewesen war. Jetzt war sein Bauch auf einmal viel dicker, so dick, dass man denken konnte, dass er gleich ein Baby bekam.
Überhaupt hatte er auch nur so plötzlich auf dem Schulflur gestanden, weil er aus dem Klo gekommen war. Jannik hatte ihn kurzzeitig aus den Augen verloren, als alle sich beim Blinken ins Haus gedrängelt hatten. Und dann war der Mann so plötzlich wieder da gewesen als hätte ihn jemand dort hingezaubert, und es gab weit und breit keine andere Tür als die vom Klo.
Jetzt sah sich der Fremde suchend um, schaute recht und links, und dann wieder rechts. Jannik wich ein wenig zurück in den Schatten der Ecke, aus der er den Mann beobachtete. Er überlegte, so rasch er nur konnte. Was wollte so ein Betrüger hier in der Schule? Denn da gab es gar keinen Zweifel, dass der Mann sich auf dem Klo einen Bart angeklebt hatte und sich wohl auch einen Bauch umgebunden hatte. Ein Kissen untergeschoben vielleicht? Jannik hatte das auch schon mal gemacht, lustig war das gewesen.
Aber dieser Mann hier, der jetzt plötzlich auf ihn zukam, war gar nicht lustig. Jannik, der bereits so weit zurückgewichen war, dass er mit dem Rücken an der Wand stand, sank jetzt langsam auf den Boden, wo er sich hinsetzte, und sah den Mann weiter auf sich zukommen. Was wollte der nur hier?
Da fiel ihm etwas ein. Direktor Müller! Der Mann sah ein wenig aus, als wäre er Direktor Müller. Der hatte doch auch so einen ähnlichen Bart. Und so einen Bauch. Von weitem konnte man die beiden ganz leicht verwechseln! Der Betrüger wollte sich bestimmt als Direktor Müller verkleiden.
Der jedenfalls schien Jannik überhaupt nicht bemerkt zu haben, denn er bog – ohweh! – soeben in den kleinen Flur ab, der zum Büro des Direktors führte. Nur noch die gläserne Doppeltür öffnen und der Mann stand direkt vor dem Büro!
Und jetzt wusste Jannik genau, was der Mann vorhatte. Die Geschenke! Der Direktor hatte doch alle Wichtelgeschenke für alle Kinder in einem Sack gesammelt, damit sie auf der großen Weihnachtsfeier verteilt werden konnten. Der Betrüger wollte also die Geschenke stehlen, natürlich! Denn Direktor Müller war mit der Sekretärin, Frau Sommer, bereits den ganzen Morgen in dem großen Saal, in dem sich gleich alle versammeln würden, und schmückte dort den riesigen Baum. Der Betrüger hatte also genau den richtigen Zeitpunkt gewählt. Mit dem falschen Bart und Bauch konnte er einfach so mit dem Geschenkesack aus der Schule spazieren!
Jannik machte ein grimmiges Gesicht. Er würde das verhindern, dass dieser Mann die Geschenke stahl. Entschlossen erhob er sich, so leise er konnte und schlich dem Mann nach. Und der betrat soeben, Jannik sah es durch die Glastür, tatsächlich das Büro des Direktors. Wie war er nur dort rein gekommen, hatte er denn einen Schlüssel? Nein, der hatte bestimmt, wie alle Diebe und Einbrecher, ein Dietrich! So hieß das Ding, mit dem man alle möglichen Türen öffnen konnte. Jannik wusste das ganz genau, weil er doch letztes Jahr beim Wichteln das tolle Detektivspiel bekommen hatte. Und wenn er dieses Jahr auch etwas bekommen wollte, musste er jetzt sofort handeln!
Jannik überlegte und strengte sich mächtig an, während er immer noch durch die Glastür spähte, ob der Mann schon wieder heraus kam aus dem Büro. Und da fiel sein Blick auf den großen Besen in der Ecke, den der Hausmeister, Herr Peters, immer zum Schneefegen verwendete. Jannik begriff, was er tun konnte. Er hob den großen schweren Besen mühsam aus seiner Ecke und schleppte ihn zu der Doppeltür. Dann schob er dessen langen Stiel durch die beiden großen Griffe der Tür. Ja! Geschafft! Jetzt konnte der Mann zwar den Sack aus dem Büro tragen, aber nur bis hier hin und nicht weiter!
Und Jannik wollte gerade los rennen, um Direktor Müller Bescheid zu sagen, dass er einen Betrüger gefangen hatte, als dieser wieder aus dem Büro kam. Tatsächlich trug er den großen Geschenkesack. Aber außerdem trug er auf dem Leib einen samtenen roten Mantel und auf dem Kopf eine lange rote Mütze, beide mit weißen Fell abgesetzt. Ja, da hörte sich doch alles auf! Jetzt verkleidete der sich doch glatt als der Weihnachtsmann! Dabei wusste doch jedes Kind, dass Direktor Müller immer den Weihnachtsmann spielte. Weil doch der echte Weihnachtsmann gar keine Zeit hatte, höchst persönlich morgens in die Schule zu kommen, der musste sich doch nachts durch alle Kamine quetschen! Deswegen war Direktor Müller immer als Weihnachtsmann eingesprungen.
Jetzt hatte der falsche Weihnachtsmann mit dem Sack die Glastür erreicht. Jannik, der so erschreckt von dessen Anblick gewesen war, hatte völlig vergessen, dass er hatte weglaufen wollen. Sei Herz klopfte jetzt ganz doll, denn der Betrüger hinter der Glastür war viel größer als Direktor Müller und wirkte ziemlich bedrohlich!
„Na du?“ sagte der Mann jetzt. „Was ist denn hier los?“
Er rüttelte an der verrammelten Tür.
Aber statt zu schimpfen, lachte der Mann jetzt laut.
„Dann muss ich wohl durch den Kamin hinaus!“ lachte er.
„Das kannst du gar nicht!“ schrie Jannik. „Du bist nämlich gar nicht der Weihnachtsmann!“ Und dann erzählte er dem Betrüger alles, was er wusste.
„So, so!“, sagte der. „Du hast also gesehen, wie ich hier in der Schule ankam, vorhin!“
Jannik nickte eifrig.
„Und weil ich mir den Bart angeklebt und das Kissen untergeschoben habe, denkst du, ich bin ein Betrüger?“
Wieder nickte Jannik.
„Aber weißt du“, sagte der Mann, „ das ist schon schwierig, das ganze Jahr über so einen Bart und Bauch zu haben. Wenn ich ehrlich bin, muss ich nämlich sagen, dass es sich ohne Bart und ohne Bauch im Sommer viel leichter lebt. Deshalb lass ich mir die beide sonst einfach wieder wachsen, im Winter. Dazu muss ich aber rechtzeitig aus dem Sommerschlaf aufwachen. Und dieses Jahr hab ich einfach verschlafen! Deshalb das Kostüm, verstehst du?“
Jannik schüttelte den Kopf.
„Du bist nicht der Weihnachtsmann“, sagte er. „Den Weihnachtsmann könnte keiner einsperren!“
„Du bist ganz schön schlau!“ lachte der Mann wieder. „Ich geh dann mal zum Kamin!
Sonst kriegen die Kinder heute gar keine Geschenke!
Kamin? Jannik überlegte wieder so rasch er nur konnte. Gab es in der Schule überhaupt einen Kamin? Nein, davon wusste er gar nichts, und ganz sicher hatte der Direktor keinen in seinem Büro, denn Jannik hatte darin noch nie ein prasselndes Feuer gesehen.
Aber da war der falsche Weihnachtsmann auch schon im Büro verschwunden.
Weihnachtsmusik erklang jetzt aus dem Lautsprecher. Du meine Güte! Dann hatte die Feier ja schon begonnen im großen Saal! Jannik rannte los.
Er lief in den Saal, wo sich alle Klassen versammelt hatten und wo seine Lehrerin ihm kopfschüttelnd einen tadelnden Blick zuwarf, weil er so spät kam. Leise setzte er sich neben Lukas, seinen Banknachbarn, und wartete, dass Direktor Müller als Wehnachtsmann auf die Bühne kam, um die Geschenke zu verteilen. Um den Betrüger konnten sie sich immer noch kümmern.
Aber der Direktor stand längst vorne auf der Bühne und lächelte alle an. Ohne Kostüm!
„Liebe Schülerinnen und Schüler!“ rief er jetzt durchs Mikrophon. „Es freut mich außerordentlich, dass es mir dieses Jahr gelungen ist, den Weihnachtsmann höchst persönlich hier zu uns in die Schule zu bitten!“
Was? dachte Jannik. Niemals!
„Und deshalb klatscht ihr jetzt alle ganz laut“, fuhr Direktor Müller fort, „damit wir den Mann auf die Bühne kriegen!“
Alle begannen jetzt wie wild zu klatschen, ein paar Kinder trampelten sogar. Aber nichts geschah. Niemand kam auf die Bühne, und Direktor Müller sah schon etwas verwundert aus.
Hilfe, dachte Jannik. Betrüger hin oder her, er hatte den Weihnachtsmann eingesperrt! Und ohne Kamin konnte der nicht hinaus! Er musste etwas sagen oder tun, sonst bekam hier heute keiner etwas geschenkt!
Eben wollte Jannik loslaufen, da rumpelte es auf der Bühne, und wer stand dort? Der Betrüger! Mit samt dem großen Geschenkesack!
„Guten Morgen Kinder!“ rief er. „Entschuldigt, dass ich euch etwas habe warten lassen, aber ich hatte etwas Mühe durch den Kamin zu kommen!“ Er zeigte auf ein paar Flecken auf der Hose und einen kleinen Riss und lachte.
Wie bitte!? In Janniks Gesicht stand ein Fragezeichen, das konnte er richtig fühlen.
„So“, sagte der Mann und setzte seinen Sack ab. „Jetzt brauche ich noch jemanden, der mir hilft, die Geschenke auszuteilen. Und ich weiß auch schon, wen ich da bitten will!“ Er sah sich suchend um, und sein Blick fiel auf Jannik.
„Jannik!“ schrie er und winkte diesem mit dem Zeigefinger zu sich. „Komm auf die Bühne!“
Erschreckt sprang Jannik auf. Und während er mit zitternden Knien auf die Bühne ging, wobei die Kinder um ihn herum vor Freude johlten und schrieen, wurde das Fragezeichen ins Janniks Gesicht größer und größer.
Wie war der Mann aus dem Büro gekommen? Wieso war seine Hose schmutzig, wo doch das Büro des Direktors gar keinen Kamin hatte.
Und wie konnte der Fremde wissen, dass er Jannik hieß?
Da gab es nur eine Erklärung. Der Mann war doch kein Betrüger. Er hatte die Wahrheit gesagt. Er war der echte Weihnachtsmann.
Der zwinkerte Jannik jetzt jedes Mal an, wenn dieser ihm ein Geschenk aus dem Sack reichte. Und das allerletzte Geschenk bekam Jannik mit einem eben solchen Zwinkern zurück, denn es war für ihn selbst.
„Frohe Weihnachten, Jannik!“ sagte der Weihnachtsmann.
„Frohe Weihnachten!“ sagte Jannik und starrte auf sein Geschenk. Er musste Direktor Müller unbedingt sagen, dass es sich ohne Bart und ohne Bauch im Sommer viel leichter lebte.
© 2011
Jannik war sich ganz sicher. Der Mann, der da plötzlich auf dem Schulflur stand, war ein Betrüger. Der war nämlich erst kurz nach dem Ende der Großen Pause, als es gerade geblinkt hatte, auf den Schulhof gekommen, und da hatte er noch keinen Bart gehabt. Jetzt jedenfalls hatte er einen, einen weißen auch noch, dabei waren seine Haare ganz schwarz. Wo gab’s denn so was?
Und noch was war komisch an dem Mann. Jannik hätte schwören können, dass er auch dünner gewesen war. Jetzt war sein Bauch auf einmal viel dicker, so dick, dass man denken konnte, dass er gleich ein Baby bekam.
Überhaupt hatte er auch nur so plötzlich auf dem Schulflur gestanden, weil er aus dem Klo gekommen war. Jannik hatte ihn kurzzeitig aus den Augen verloren, als alle sich beim Blinken ins Haus gedrängelt hatten. Und dann war der Mann so plötzlich wieder da gewesen als hätte ihn jemand dort hingezaubert, und es gab weit und breit keine andere Tür als die vom Klo.
Jetzt sah sich der Fremde suchend um, schaute recht und links, und dann wieder rechts. Jannik wich ein wenig zurück in den Schatten der Ecke, aus der er den Mann beobachtete. Er überlegte, so rasch er nur konnte. Was wollte so ein Betrüger hier in der Schule? Denn da gab es gar keinen Zweifel, dass der Mann sich auf dem Klo einen Bart angeklebt hatte und sich wohl auch einen Bauch umgebunden hatte. Ein Kissen untergeschoben vielleicht? Jannik hatte das auch schon mal gemacht, lustig war das gewesen.
Aber dieser Mann hier, der jetzt plötzlich auf ihn zukam, war gar nicht lustig. Jannik, der bereits so weit zurückgewichen war, dass er mit dem Rücken an der Wand stand, sank jetzt langsam auf den Boden, wo er sich hinsetzte, und sah den Mann weiter auf sich zukommen. Was wollte der nur hier?
Da fiel ihm etwas ein. Direktor Müller! Der Mann sah ein wenig aus, als wäre er Direktor Müller. Der hatte doch auch so einen ähnlichen Bart. Und so einen Bauch. Von weitem konnte man die beiden ganz leicht verwechseln! Der Betrüger wollte sich bestimmt als Direktor Müller verkleiden.
Der jedenfalls schien Jannik überhaupt nicht bemerkt zu haben, denn er bog – ohweh! – soeben in den kleinen Flur ab, der zum Büro des Direktors führte. Nur noch die gläserne Doppeltür öffnen und der Mann stand direkt vor dem Büro!
Und jetzt wusste Jannik genau, was der Mann vorhatte. Die Geschenke! Der Direktor hatte doch alle Wichtelgeschenke für alle Kinder in einem Sack gesammelt, damit sie auf der großen Weihnachtsfeier verteilt werden konnten. Der Betrüger wollte also die Geschenke stehlen, natürlich! Denn Direktor Müller war mit der Sekretärin, Frau Sommer, bereits den ganzen Morgen in dem großen Saal, in dem sich gleich alle versammeln würden, und schmückte dort den riesigen Baum. Der Betrüger hatte also genau den richtigen Zeitpunkt gewählt. Mit dem falschen Bart und Bauch konnte er einfach so mit dem Geschenkesack aus der Schule spazieren!
Jannik machte ein grimmiges Gesicht. Er würde das verhindern, dass dieser Mann die Geschenke stahl. Entschlossen erhob er sich, so leise er konnte und schlich dem Mann nach. Und der betrat soeben, Jannik sah es durch die Glastür, tatsächlich das Büro des Direktors. Wie war er nur dort rein gekommen, hatte er denn einen Schlüssel? Nein, der hatte bestimmt, wie alle Diebe und Einbrecher, ein Dietrich! So hieß das Ding, mit dem man alle möglichen Türen öffnen konnte. Jannik wusste das ganz genau, weil er doch letztes Jahr beim Wichteln das tolle Detektivspiel bekommen hatte. Und wenn er dieses Jahr auch etwas bekommen wollte, musste er jetzt sofort handeln!
Jannik überlegte und strengte sich mächtig an, während er immer noch durch die Glastür spähte, ob der Mann schon wieder heraus kam aus dem Büro. Und da fiel sein Blick auf den großen Besen in der Ecke, den der Hausmeister, Herr Peters, immer zum Schneefegen verwendete. Jannik begriff, was er tun konnte. Er hob den großen schweren Besen mühsam aus seiner Ecke und schleppte ihn zu der Doppeltür. Dann schob er dessen langen Stiel durch die beiden großen Griffe der Tür. Ja! Geschafft! Jetzt konnte der Mann zwar den Sack aus dem Büro tragen, aber nur bis hier hin und nicht weiter!
Und Jannik wollte gerade los rennen, um Direktor Müller Bescheid zu sagen, dass er einen Betrüger gefangen hatte, als dieser wieder aus dem Büro kam. Tatsächlich trug er den großen Geschenkesack. Aber außerdem trug er auf dem Leib einen samtenen roten Mantel und auf dem Kopf eine lange rote Mütze, beide mit weißen Fell abgesetzt. Ja, da hörte sich doch alles auf! Jetzt verkleidete der sich doch glatt als der Weihnachtsmann! Dabei wusste doch jedes Kind, dass Direktor Müller immer den Weihnachtsmann spielte. Weil doch der echte Weihnachtsmann gar keine Zeit hatte, höchst persönlich morgens in die Schule zu kommen, der musste sich doch nachts durch alle Kamine quetschen! Deswegen war Direktor Müller immer als Weihnachtsmann eingesprungen.
Jetzt hatte der falsche Weihnachtsmann mit dem Sack die Glastür erreicht. Jannik, der so erschreckt von dessen Anblick gewesen war, hatte völlig vergessen, dass er hatte weglaufen wollen. Sei Herz klopfte jetzt ganz doll, denn der Betrüger hinter der Glastür war viel größer als Direktor Müller und wirkte ziemlich bedrohlich!
„Na du?“ sagte der Mann jetzt. „Was ist denn hier los?“
Er rüttelte an der verrammelten Tür.
Aber statt zu schimpfen, lachte der Mann jetzt laut.
„Dann muss ich wohl durch den Kamin hinaus!“ lachte er.
„Das kannst du gar nicht!“ schrie Jannik. „Du bist nämlich gar nicht der Weihnachtsmann!“ Und dann erzählte er dem Betrüger alles, was er wusste.
„So, so!“, sagte der. „Du hast also gesehen, wie ich hier in der Schule ankam, vorhin!“
Jannik nickte eifrig.
„Und weil ich mir den Bart angeklebt und das Kissen untergeschoben habe, denkst du, ich bin ein Betrüger?“
Wieder nickte Jannik.
„Aber weißt du“, sagte der Mann, „ das ist schon schwierig, das ganze Jahr über so einen Bart und Bauch zu haben. Wenn ich ehrlich bin, muss ich nämlich sagen, dass es sich ohne Bart und ohne Bauch im Sommer viel leichter lebt. Deshalb lass ich mir die beide sonst einfach wieder wachsen, im Winter. Dazu muss ich aber rechtzeitig aus dem Sommerschlaf aufwachen. Und dieses Jahr hab ich einfach verschlafen! Deshalb das Kostüm, verstehst du?“
Jannik schüttelte den Kopf.
„Du bist nicht der Weihnachtsmann“, sagte er. „Den Weihnachtsmann könnte keiner einsperren!“
„Du bist ganz schön schlau!“ lachte der Mann wieder. „Ich geh dann mal zum Kamin!
Sonst kriegen die Kinder heute gar keine Geschenke!
Kamin? Jannik überlegte wieder so rasch er nur konnte. Gab es in der Schule überhaupt einen Kamin? Nein, davon wusste er gar nichts, und ganz sicher hatte der Direktor keinen in seinem Büro, denn Jannik hatte darin noch nie ein prasselndes Feuer gesehen.
Aber da war der falsche Weihnachtsmann auch schon im Büro verschwunden.
Weihnachtsmusik erklang jetzt aus dem Lautsprecher. Du meine Güte! Dann hatte die Feier ja schon begonnen im großen Saal! Jannik rannte los.
Er lief in den Saal, wo sich alle Klassen versammelt hatten und wo seine Lehrerin ihm kopfschüttelnd einen tadelnden Blick zuwarf, weil er so spät kam. Leise setzte er sich neben Lukas, seinen Banknachbarn, und wartete, dass Direktor Müller als Wehnachtsmann auf die Bühne kam, um die Geschenke zu verteilen. Um den Betrüger konnten sie sich immer noch kümmern.
Aber der Direktor stand längst vorne auf der Bühne und lächelte alle an. Ohne Kostüm!
„Liebe Schülerinnen und Schüler!“ rief er jetzt durchs Mikrophon. „Es freut mich außerordentlich, dass es mir dieses Jahr gelungen ist, den Weihnachtsmann höchst persönlich hier zu uns in die Schule zu bitten!“
Was? dachte Jannik. Niemals!
„Und deshalb klatscht ihr jetzt alle ganz laut“, fuhr Direktor Müller fort, „damit wir den Mann auf die Bühne kriegen!“
Alle begannen jetzt wie wild zu klatschen, ein paar Kinder trampelten sogar. Aber nichts geschah. Niemand kam auf die Bühne, und Direktor Müller sah schon etwas verwundert aus.
Hilfe, dachte Jannik. Betrüger hin oder her, er hatte den Weihnachtsmann eingesperrt! Und ohne Kamin konnte der nicht hinaus! Er musste etwas sagen oder tun, sonst bekam hier heute keiner etwas geschenkt!
Eben wollte Jannik loslaufen, da rumpelte es auf der Bühne, und wer stand dort? Der Betrüger! Mit samt dem großen Geschenkesack!
„Guten Morgen Kinder!“ rief er. „Entschuldigt, dass ich euch etwas habe warten lassen, aber ich hatte etwas Mühe durch den Kamin zu kommen!“ Er zeigte auf ein paar Flecken auf der Hose und einen kleinen Riss und lachte.
Wie bitte!? In Janniks Gesicht stand ein Fragezeichen, das konnte er richtig fühlen.
„So“, sagte der Mann und setzte seinen Sack ab. „Jetzt brauche ich noch jemanden, der mir hilft, die Geschenke auszuteilen. Und ich weiß auch schon, wen ich da bitten will!“ Er sah sich suchend um, und sein Blick fiel auf Jannik.
„Jannik!“ schrie er und winkte diesem mit dem Zeigefinger zu sich. „Komm auf die Bühne!“
Erschreckt sprang Jannik auf. Und während er mit zitternden Knien auf die Bühne ging, wobei die Kinder um ihn herum vor Freude johlten und schrieen, wurde das Fragezeichen ins Janniks Gesicht größer und größer.
Wie war der Mann aus dem Büro gekommen? Wieso war seine Hose schmutzig, wo doch das Büro des Direktors gar keinen Kamin hatte.
Und wie konnte der Fremde wissen, dass er Jannik hieß?
Da gab es nur eine Erklärung. Der Mann war doch kein Betrüger. Er hatte die Wahrheit gesagt. Er war der echte Weihnachtsmann.
Der zwinkerte Jannik jetzt jedes Mal an, wenn dieser ihm ein Geschenk aus dem Sack reichte. Und das allerletzte Geschenk bekam Jannik mit einem eben solchen Zwinkern zurück, denn es war für ihn selbst.
„Frohe Weihnachten, Jannik!“ sagte der Weihnachtsmann.
„Frohe Weihnachten!“ sagte Jannik und starrte auf sein Geschenk. Er musste Direktor Müller unbedingt sagen, dass es sich ohne Bart und ohne Bauch im Sommer viel leichter lebte.
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