Friday, March 18. 2011
Serena geht einkaufen
Das geht klar. Kein Problem. Serena weiß genau, was sie kaufen will, Mama hat es ihr gesagt. Bananen, Tomaten und Milch. 5 schöne, große Bananen, nicht zu grün, 8 schöne, rote Tomaten, nicht zu weich und einen Liter frische Milch, halbfett. Serena muss sich das nicht aufschreiben. Nein, Mama, das geht klar. Sie kann sich das merken. Sie nimmt eine schöne blaue Stofftasche mit und steckt den 20-Euro-Schein in die Brusttasche ihrer Jacke. Reißverschluss zu, und fertig. Ihr Hausschlüssel kommt in die rechte Vordertasche ihrer Jeans, und los geht's.
Der Laden ist nicht weit und nicht schwer zu finden. Sie war bestimmt schon tausendmal mit Mama dort. Einfach nach rechts aus dem Haus gehen und dann die Straße hinunter. Da ist er dann schon. Halt mal, rechts? Rechts ist, wo der Daumen links ist, sagt Oma immer. Rechts ist, wo du schreibst, sagt Mama. Nicht wo Carsten schreibt, der ist Linkshänder.
Also rechts, ganz klar, und da ist der Laden auch schon.
Serena betritt die großen Räume, die überall von kleinen Lampen hell erleuchtet sind. Einen Korb braucht sie jetzt, da will sie die Einkäufe hineinlegen. Sie blickt sich suchend um. Keine Körbe. Eine Vielzahl von Kunden und Kundinnen trägt bereits einen Korb, aber es ist deren Korb, sie haben ihre Sachen darin. Soll sie warten, bis einer von ihnen bezahlt hat? Nein, dazu ist keine Zeit. Suchend läuft Serena durch die Gänge, nirgends zeigt sich ein freier Korb. Da, ein Mann mit einem Namensschild! Serena räuspert sich.
"Entschuldigung, können sie mir bitte sagen, wo die Einkaufskörbe stehen?"
Der Mann packt grade eifrig Waren aus und deutete nur rasch auf einen Stapel Körbe, der - warum hat sie es nicht gesehen? - direkt neben Serena in die Höhe ragt. Peinlich berührt stammelt sie ein Dankeschön und nimmt sich den obersten Korb.
Auf zu den Bananen. Einige wunderschöne Exemplare liegen am Obst- und Gemüse-Stand auf einen großen Haufen, jeweils zu mehreren an einander gewachsen, fast wie die Finger einer Hand. Oder wie kleine Bananenbanden.
Jetzt gilt es, die perfektesten Bananen herauszusuchen. Serena sucht mit den Augen, dann mit den Händen, ganz vorsichtig, nach der perfekten Fünferbande. Sie hat sie!
"Juhuu!" Oh! Die Leute rechts und links neben ihr starren sie verwundert an, und Serena schlägt sich die Hand vor den Mund. Leise jubeln, sagt sie sich. Nun eine Tüte holen, um die Bananen abzuwiegen. Serena legt die Fünf etwas an die Seite und eilt zur Waage. Die Tüten sind noch feiner als Frühstücksbrottüten, fast so fein und klebrig wie die Folie, die Mama immer über die Resteschälchen zieht.
Serena hilft ihr sonst gern dabei, aber jetzt wünschte sie, die Tüte wäre weniger widerspenstig. Zwischen Daumen und Zeigefinger versucht sie, die Tüte zu reiben, wie sie es schon bei Erwachsenen gesehen hat, damit nämlich die Wände nicht mehr an einander kleben. Aber es will einfach nicht klappen, so sehr sie auch reibt und reibt. Plötzlich kommt ihr ein Gedanke. So etwas hat ein Arzt im Krankenhaus mal gemacht, als er sich die Handschuhe anziehen wollte. Vielleicht kann sie hinein pusten in die Tüte, dort oben, wo sie schon ein wenig auf ist. Sie probiert es und bekommt ganz rote Pausbacken, als eine Stimme sie rügt.
"Plastiktüten sind kein Spielzeug, junge Dame!"
Der Mann zupft erbost an seinem seinen Schnurrbart und nimmt ihr die Tüte vom Mund und aus den Händen.
Da, die Wände lösen sich voneinander!
"Danke!" freut sich Serena, greift die Tüte und geht froh zurück zu den Bananen.
Doch die perfekte Bande – ist weg! Das darf doch nicht wahr sein, dort drüben schaukeln sie, ganz ohne Tüte, die fünf, im Korb einer Frau mit roten Haaren! Hexe! Jetzt muss sie noch mal den ganzen Bananenhaufen durch suchen, wie gemein!
Nach einer ganzen Weile ist die zweitperfekteste Bande da. Aber die Tüte benutzt Serena jetzt nicht für die Bananen. Sie klebt den Zettel von der Waage direkt auf die oberste Banane, genau wie es die rothaarige Frau gemacht hat. So muss sie nämlich nicht noch mal mit einer Tüte kämpfen, sondern kann diese, bereits eroberte, für die Tomaten benutzen. Also, nix
wie zu den Tomaten.
Auch hier gilt es, die schönsten herauszusuchen. Aber Tomaten sind rund, und das ist sehr von übel. Jedes Mal wenn Serena sich die schönste ausgesucht hat, die sie gerade finden kann, fällt eine weitere herunter und kullert über den Fußboden.
"Entschuldigung, Entschuldigung", ruft sie nach allen Seiten. Da sind sie, die widerspenstigen, direkt unter dem Einkaufswagen des Tüten-sind-kein-Spielzeug-Mannes mit dem Schnurrbart, ausgerechnet.
"Könnten Sie bitte Ihren Wagen wegziehen, damit ich ...", muss sie jetzt auch noch sagen. Der Mann tut es stirnrunzelnd und Serena traut sich nicht, die Kullertomaten zurückzulegen. Na dann, so werden aus vier Tomaten schnell acht, und die kullerigen Dinger sind ja auch ganz okay. Halt! Wiegen!
Serena geht zur Waage. Doch sie hat die Nummer vergessen, die man für die Tomaten drücken muss, damit die Waage den Preis ausrechnet und man das Schild auf die Tüte kleben kann. Hallo? Schon bildet sich hinter ihr eine Schlange von Leuten, die ungeduldig zappeln, weil sie auch was abzuwiegen haben. Tomaten, Tomaten. Da sind doch auch Bilder auf der Waage! Bei den Bananen war es ganz einfach. Die Eins zierte eine schöne gelbe Bananenbande. Aber Tomatentasten gibt es drei. Welche ist die richtige? Hinter ihr räuspert sich ein Zappelphilipp, und die Philippine dahinter sieht auch schon ganz genervt aus. Serena drückt die erste Tomatentaste. Strauchtomaten, sagt das Schild. Aber sie hat keine Strauchtomaten, oder? Es bleibt ihr nichts anderes übrig als zurückzukehren zum Ursprungsort der Tomaten, während sie versucht, den Aufkleber von der Tüte wieder abzuknibbeln. Sie hat es fast geschafft, eine Ecke zu lösen, da - reißt die Tüte. Sechs der acht Tomaten kullern über den Fußboden.
"Halt!" schreit Serena in höchster Not und sammelt die Tomatenkuller in Windeseile wieder ein. Jetzt hat sie aber die Nase voll! Taste 76, na gut, nix wie zurück zur Waage, dann wird sie eben das Schild auf eine der Tomaten kleben. An der Waage angelangt, muss sie sich natürlich hinten anstellen, weil die Leute, die sie vorher gesehen haben, längst weg sind. Und überhaupt: Weg gegangen, Platz vergangen, nicht wahr? Verflixt noch mal!
Aber dann, endlich! Wie sagt Oma immer: Wenn du denkst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her? Da, direkt neben der Waage, liegt eine leere Tüte, vollkommen ganz, die jemand schon los gerubbelt hat und wohl nicht mehr brauchte. Freudig klebt Serena den Aufkleber 76, Tomaten Spanien, auf die Tüte mit den gewogenen roten Kugeln und
knotet die Tütenhenkel zu. Ab in den Korb. Oh! Hilfe! Wo ist der Korb? Der Korb, in dem die zweitperfekteste Bananenbande wartet?
Es dauert eine ganze Weile, bis Serena ihren Korb hinter einer Ladung frischer Ware findet. Wer soll den denn da auch sehen, wenn die da was davor stellen? Erleichtert und glücklich greift sie nach dem Korb und lässt die Tomatentüte neben die Bananen gleiten. Hübsch sieht das aus, das leuchtende Gelb der Bananen und das Rot der Tomaten, das durch die
Tüte einen silbrigen Schimmer bekommen hat.
"Bitte mal Platz machen," dröhnt es hinter ihr. Der geschäftige Mann mit dem Namensschild will die Ware wegschieben. Na, jetzt ist es zu spät! Den Korb hat sie ja schon gefunden. Jetzt nur noch die letzte Sache einkaufen. Verflixt, was war das noch? Serena macht ein paar Schritte zur Seite, damit der Namensschildmann seine Waren durch den Gang kriegt.
Was war denn nur das dritte, das sie einkaufen sollte? Es war was, das man jeden Tag braucht, das weiß sie genau. Brot! Das braucht man jeden Tag. Brot! Das muss es sein. Also, nichts wie zur Backtheke.
Dort stellt sie den Korb auf die Ablage, wo sonst die Einkaufstaschen ihren Platz finden, und bestellt das Brot.
"Einen Loggenraib!" Knallrot beobachtet Serena, wie sich der fragende Blick der Verkäuferin in ein Lächeln verwandelt.
"Roggenlaib", beeilt sie sich zu sagen, bevor es die Verkäuferin schafft. Dann nimmt sie den abgepackten Laib entgegen und will ihn in ihren Korb legen und schnell verschwinden, aber Brot und Korb wehren sich, und der Korb macht Anstalten,
von der Ablage zu hüpfen. Ein Mann hinter Serena kann ihn gerade noch auffangen, bevor er mit Tomaten und Bananen zu Boden saust.
"Danke", krächzt Serena und erkennt mit zusammen gekniffenen Augen den Schnurrbartmann, der, zugegeben, jetzt nicht mehr so böse schaut. Eilig begibt sie sich zur Kasse und legt die Waren auf das Band, gerade noch bevor
ein anderer Mann seinen Wagen auspacken kann. Hat der viel gekauft! Wahnsinn!
"Legst du bitte das Trennschild auf das Band!"
Gedankenverloren tut Serena wie geheißen. Muss der eine Riesenfamilie haben, sein Wagen ist ja immer noch fast voll, obwohl er schon so viel ausgepackt hat.
"20 Euro 16", sagt die Kassiererin.
"Wie bitte?" fragt Serena und wird schon wieder rot. Der 20-Euro-Schein in ihrer Brusttasche verwandelt sich soeben in ein glühendes Stückchen Kohle.
"20 Euro16", wiederholt die Kassiererin.
"Aber – ich hab nur – 20 Euro," bringt Serena mit Mühe heraus.
"Tja", macht die Kassiererin spitz.<
"Moment mal", sagte da der Riesenfamilienmann. "Davon gehört aber noch was mir!"
Er zeigt auf einige Waren, die die Kassiererin für Serena übers Band gezogen hat. Sie hatte das Schild an die falsche Stelle gelegt! Mit verbissener Miene nimmt die Kassiererin alles wieder raus, was dem Mann gehört.
"6 Euro 80 sind das dann", sagte sie, und vollkommen erleichtert reicht Serena ihr die 20 Euro. Sie packte ihre Waren in die blaue Tasche und läuft zur die Tür.
"Halt!" schreien die Kassiererin und der Riesenfamilienmann im Chor. "Dein Wechselgeld!"
Noch mal zurück. Mit hochroten Kopf das Wechselgeld entgegen nehmen, einstecken, Reißverschluss zu und nix wie raus aus dem Laden.
"Halt!" schreit da schon wieder jemand. Und diesmal ist es nur der Riesenfamilienmann, der schon in der Tür steht. Und was hält er in der Hand? Die blaue Tasche. Serena hat sie stehen lassen, als sie das Wechselgeld eingesteckt hat. Hilfe. Hört das denn nie auf?
Offenbar nicht, denn als Serena die Tasche entgegen nimmt, entgleitet sie ihr und der gesamte Inhalt rutscht über den Gehsteig. Quietschend kommt ein Fahrradfahrer zum Stehen, und beginnt zu schimpfen. Was hat der überhaupt auf dem Gehsteig zu suchen? Der Riesenfamilienmann, der immer noch in der Tür steht und gerade noch ganz
erschreckt war, guckt jetzt finster und streitet mit dem Radfahrer.
Stumm sammelt Serena die Tomaten ein, die sich aus ihrer Tüte befreit haben und sich schon ganz weich anfühlen, und auch das Brot, das wie ein Wagenrad unter ein parkendes Auto gerollt ist, und natürlich die Bananen, die immer noch als zweitperfekteste Bande durchgehen können. Sie schleicht mit gesenktem Kopf heimwärts und will den Hausschlüssel aus ihrer Jeanshose ziehen, doch da ist nichts ins ihrer Tasche - außer ein riesiges Loch! Das darf doch einfach alles nicht wahr sein! Mama!
"Mama?! Mama!" Serena rüttelt an Mamas Arm, die am Küchentisch sitzt und die Augen geschlossen hält. "Schläfst du etwa?"
"Nein", sagt Mama rasch und räuspert sich.
"Ich bin wieder da", sagt Serena und stellt die blaue Tasche auf den Tisch. Dann packt sie aus. 5 Bananen, 8 Tomaten in einer silbrigen Tüte und einen Liter frische Milch, halbfett. Das passende Wechselgeld und den Kassenbon legt sie dazu.
"War was?" fragt Mama und reibt sich die Augen.
"Nö, wieso", sagt Serena. "Hast du dir Sorgen gemacht?"
@ 2007
Für Kenan H.
Der Laden ist nicht weit und nicht schwer zu finden. Sie war bestimmt schon tausendmal mit Mama dort. Einfach nach rechts aus dem Haus gehen und dann die Straße hinunter. Da ist er dann schon. Halt mal, rechts? Rechts ist, wo der Daumen links ist, sagt Oma immer. Rechts ist, wo du schreibst, sagt Mama. Nicht wo Carsten schreibt, der ist Linkshänder.
Also rechts, ganz klar, und da ist der Laden auch schon.
Serena betritt die großen Räume, die überall von kleinen Lampen hell erleuchtet sind. Einen Korb braucht sie jetzt, da will sie die Einkäufe hineinlegen. Sie blickt sich suchend um. Keine Körbe. Eine Vielzahl von Kunden und Kundinnen trägt bereits einen Korb, aber es ist deren Korb, sie haben ihre Sachen darin. Soll sie warten, bis einer von ihnen bezahlt hat? Nein, dazu ist keine Zeit. Suchend läuft Serena durch die Gänge, nirgends zeigt sich ein freier Korb. Da, ein Mann mit einem Namensschild! Serena räuspert sich.
"Entschuldigung, können sie mir bitte sagen, wo die Einkaufskörbe stehen?"
Der Mann packt grade eifrig Waren aus und deutete nur rasch auf einen Stapel Körbe, der - warum hat sie es nicht gesehen? - direkt neben Serena in die Höhe ragt. Peinlich berührt stammelt sie ein Dankeschön und nimmt sich den obersten Korb.
Auf zu den Bananen. Einige wunderschöne Exemplare liegen am Obst- und Gemüse-Stand auf einen großen Haufen, jeweils zu mehreren an einander gewachsen, fast wie die Finger einer Hand. Oder wie kleine Bananenbanden.
Jetzt gilt es, die perfektesten Bananen herauszusuchen. Serena sucht mit den Augen, dann mit den Händen, ganz vorsichtig, nach der perfekten Fünferbande. Sie hat sie!
"Juhuu!" Oh! Die Leute rechts und links neben ihr starren sie verwundert an, und Serena schlägt sich die Hand vor den Mund. Leise jubeln, sagt sie sich. Nun eine Tüte holen, um die Bananen abzuwiegen. Serena legt die Fünf etwas an die Seite und eilt zur Waage. Die Tüten sind noch feiner als Frühstücksbrottüten, fast so fein und klebrig wie die Folie, die Mama immer über die Resteschälchen zieht.
Serena hilft ihr sonst gern dabei, aber jetzt wünschte sie, die Tüte wäre weniger widerspenstig. Zwischen Daumen und Zeigefinger versucht sie, die Tüte zu reiben, wie sie es schon bei Erwachsenen gesehen hat, damit nämlich die Wände nicht mehr an einander kleben. Aber es will einfach nicht klappen, so sehr sie auch reibt und reibt. Plötzlich kommt ihr ein Gedanke. So etwas hat ein Arzt im Krankenhaus mal gemacht, als er sich die Handschuhe anziehen wollte. Vielleicht kann sie hinein pusten in die Tüte, dort oben, wo sie schon ein wenig auf ist. Sie probiert es und bekommt ganz rote Pausbacken, als eine Stimme sie rügt.
"Plastiktüten sind kein Spielzeug, junge Dame!"
Der Mann zupft erbost an seinem seinen Schnurrbart und nimmt ihr die Tüte vom Mund und aus den Händen.
Da, die Wände lösen sich voneinander!
"Danke!" freut sich Serena, greift die Tüte und geht froh zurück zu den Bananen.
Doch die perfekte Bande – ist weg! Das darf doch nicht wahr sein, dort drüben schaukeln sie, ganz ohne Tüte, die fünf, im Korb einer Frau mit roten Haaren! Hexe! Jetzt muss sie noch mal den ganzen Bananenhaufen durch suchen, wie gemein!
Nach einer ganzen Weile ist die zweitperfekteste Bande da. Aber die Tüte benutzt Serena jetzt nicht für die Bananen. Sie klebt den Zettel von der Waage direkt auf die oberste Banane, genau wie es die rothaarige Frau gemacht hat. So muss sie nämlich nicht noch mal mit einer Tüte kämpfen, sondern kann diese, bereits eroberte, für die Tomaten benutzen. Also, nix
wie zu den Tomaten.
Auch hier gilt es, die schönsten herauszusuchen. Aber Tomaten sind rund, und das ist sehr von übel. Jedes Mal wenn Serena sich die schönste ausgesucht hat, die sie gerade finden kann, fällt eine weitere herunter und kullert über den Fußboden.
"Entschuldigung, Entschuldigung", ruft sie nach allen Seiten. Da sind sie, die widerspenstigen, direkt unter dem Einkaufswagen des Tüten-sind-kein-Spielzeug-Mannes mit dem Schnurrbart, ausgerechnet.
"Könnten Sie bitte Ihren Wagen wegziehen, damit ich ...", muss sie jetzt auch noch sagen. Der Mann tut es stirnrunzelnd und Serena traut sich nicht, die Kullertomaten zurückzulegen. Na dann, so werden aus vier Tomaten schnell acht, und die kullerigen Dinger sind ja auch ganz okay. Halt! Wiegen!
Serena geht zur Waage. Doch sie hat die Nummer vergessen, die man für die Tomaten drücken muss, damit die Waage den Preis ausrechnet und man das Schild auf die Tüte kleben kann. Hallo? Schon bildet sich hinter ihr eine Schlange von Leuten, die ungeduldig zappeln, weil sie auch was abzuwiegen haben. Tomaten, Tomaten. Da sind doch auch Bilder auf der Waage! Bei den Bananen war es ganz einfach. Die Eins zierte eine schöne gelbe Bananenbande. Aber Tomatentasten gibt es drei. Welche ist die richtige? Hinter ihr räuspert sich ein Zappelphilipp, und die Philippine dahinter sieht auch schon ganz genervt aus. Serena drückt die erste Tomatentaste. Strauchtomaten, sagt das Schild. Aber sie hat keine Strauchtomaten, oder? Es bleibt ihr nichts anderes übrig als zurückzukehren zum Ursprungsort der Tomaten, während sie versucht, den Aufkleber von der Tüte wieder abzuknibbeln. Sie hat es fast geschafft, eine Ecke zu lösen, da - reißt die Tüte. Sechs der acht Tomaten kullern über den Fußboden.
"Halt!" schreit Serena in höchster Not und sammelt die Tomatenkuller in Windeseile wieder ein. Jetzt hat sie aber die Nase voll! Taste 76, na gut, nix wie zurück zur Waage, dann wird sie eben das Schild auf eine der Tomaten kleben. An der Waage angelangt, muss sie sich natürlich hinten anstellen, weil die Leute, die sie vorher gesehen haben, längst weg sind. Und überhaupt: Weg gegangen, Platz vergangen, nicht wahr? Verflixt noch mal!
Aber dann, endlich! Wie sagt Oma immer: Wenn du denkst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her? Da, direkt neben der Waage, liegt eine leere Tüte, vollkommen ganz, die jemand schon los gerubbelt hat und wohl nicht mehr brauchte. Freudig klebt Serena den Aufkleber 76, Tomaten Spanien, auf die Tüte mit den gewogenen roten Kugeln und
knotet die Tütenhenkel zu. Ab in den Korb. Oh! Hilfe! Wo ist der Korb? Der Korb, in dem die zweitperfekteste Bananenbande wartet?
Es dauert eine ganze Weile, bis Serena ihren Korb hinter einer Ladung frischer Ware findet. Wer soll den denn da auch sehen, wenn die da was davor stellen? Erleichtert und glücklich greift sie nach dem Korb und lässt die Tomatentüte neben die Bananen gleiten. Hübsch sieht das aus, das leuchtende Gelb der Bananen und das Rot der Tomaten, das durch die
Tüte einen silbrigen Schimmer bekommen hat.
"Bitte mal Platz machen," dröhnt es hinter ihr. Der geschäftige Mann mit dem Namensschild will die Ware wegschieben. Na, jetzt ist es zu spät! Den Korb hat sie ja schon gefunden. Jetzt nur noch die letzte Sache einkaufen. Verflixt, was war das noch? Serena macht ein paar Schritte zur Seite, damit der Namensschildmann seine Waren durch den Gang kriegt.
Was war denn nur das dritte, das sie einkaufen sollte? Es war was, das man jeden Tag braucht, das weiß sie genau. Brot! Das braucht man jeden Tag. Brot! Das muss es sein. Also, nichts wie zur Backtheke.
Dort stellt sie den Korb auf die Ablage, wo sonst die Einkaufstaschen ihren Platz finden, und bestellt das Brot.
"Einen Loggenraib!" Knallrot beobachtet Serena, wie sich der fragende Blick der Verkäuferin in ein Lächeln verwandelt.
"Roggenlaib", beeilt sie sich zu sagen, bevor es die Verkäuferin schafft. Dann nimmt sie den abgepackten Laib entgegen und will ihn in ihren Korb legen und schnell verschwinden, aber Brot und Korb wehren sich, und der Korb macht Anstalten,
von der Ablage zu hüpfen. Ein Mann hinter Serena kann ihn gerade noch auffangen, bevor er mit Tomaten und Bananen zu Boden saust.
"Danke", krächzt Serena und erkennt mit zusammen gekniffenen Augen den Schnurrbartmann, der, zugegeben, jetzt nicht mehr so böse schaut. Eilig begibt sie sich zur Kasse und legt die Waren auf das Band, gerade noch bevor
ein anderer Mann seinen Wagen auspacken kann. Hat der viel gekauft! Wahnsinn!
"Legst du bitte das Trennschild auf das Band!"
Gedankenverloren tut Serena wie geheißen. Muss der eine Riesenfamilie haben, sein Wagen ist ja immer noch fast voll, obwohl er schon so viel ausgepackt hat.
"20 Euro 16", sagt die Kassiererin.
"Wie bitte?" fragt Serena und wird schon wieder rot. Der 20-Euro-Schein in ihrer Brusttasche verwandelt sich soeben in ein glühendes Stückchen Kohle.
"20 Euro16", wiederholt die Kassiererin.
"Aber – ich hab nur – 20 Euro," bringt Serena mit Mühe heraus.
"Tja", macht die Kassiererin spitz.<
"Moment mal", sagte da der Riesenfamilienmann. "Davon gehört aber noch was mir!"
Er zeigt auf einige Waren, die die Kassiererin für Serena übers Band gezogen hat. Sie hatte das Schild an die falsche Stelle gelegt! Mit verbissener Miene nimmt die Kassiererin alles wieder raus, was dem Mann gehört.
"6 Euro 80 sind das dann", sagte sie, und vollkommen erleichtert reicht Serena ihr die 20 Euro. Sie packte ihre Waren in die blaue Tasche und läuft zur die Tür.
"Halt!" schreien die Kassiererin und der Riesenfamilienmann im Chor. "Dein Wechselgeld!"
Noch mal zurück. Mit hochroten Kopf das Wechselgeld entgegen nehmen, einstecken, Reißverschluss zu und nix wie raus aus dem Laden.
"Halt!" schreit da schon wieder jemand. Und diesmal ist es nur der Riesenfamilienmann, der schon in der Tür steht. Und was hält er in der Hand? Die blaue Tasche. Serena hat sie stehen lassen, als sie das Wechselgeld eingesteckt hat. Hilfe. Hört das denn nie auf?
Offenbar nicht, denn als Serena die Tasche entgegen nimmt, entgleitet sie ihr und der gesamte Inhalt rutscht über den Gehsteig. Quietschend kommt ein Fahrradfahrer zum Stehen, und beginnt zu schimpfen. Was hat der überhaupt auf dem Gehsteig zu suchen? Der Riesenfamilienmann, der immer noch in der Tür steht und gerade noch ganz
erschreckt war, guckt jetzt finster und streitet mit dem Radfahrer.
Stumm sammelt Serena die Tomaten ein, die sich aus ihrer Tüte befreit haben und sich schon ganz weich anfühlen, und auch das Brot, das wie ein Wagenrad unter ein parkendes Auto gerollt ist, und natürlich die Bananen, die immer noch als zweitperfekteste Bande durchgehen können. Sie schleicht mit gesenktem Kopf heimwärts und will den Hausschlüssel aus ihrer Jeanshose ziehen, doch da ist nichts ins ihrer Tasche - außer ein riesiges Loch! Das darf doch einfach alles nicht wahr sein! Mama!
"Mama?! Mama!" Serena rüttelt an Mamas Arm, die am Küchentisch sitzt und die Augen geschlossen hält. "Schläfst du etwa?"
"Nein", sagt Mama rasch und räuspert sich.
"Ich bin wieder da", sagt Serena und stellt die blaue Tasche auf den Tisch. Dann packt sie aus. 5 Bananen, 8 Tomaten in einer silbrigen Tüte und einen Liter frische Milch, halbfett. Das passende Wechselgeld und den Kassenbon legt sie dazu.
"War was?" fragt Mama und reibt sich die Augen.
"Nö, wieso", sagt Serena. "Hast du dir Sorgen gemacht?"
@ 2007
Für Kenan H.
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