Wednesday, February 16. 2011
Thal
Thal haben sie geschrien. Das hab ich nie vergessen.
Zumindest einer von ihnen hat es mir direkt ins Gesicht geschrien, und dann lief er weiter auf unser Haus zu und ich lief fort.
Die Eltern hatten sie schon gehört, als sie sich unserem Nordzaun näherten, und rasch war Mutter zu uns geeilt und hatte uns in großer Eile angezogen, mich zuerst, was nicht ungewöhnlich war, denn ich war ja die Kleinste und konnte es praktisch nie schnell genug schaffen. Nicht halb so schnell jedenfalls wie Norwin und Marvin, denn die waren immer so stumm, aber rasend schnell. Und stumm waren sie auch nur, wenn jemand anderer in der Nähe war.
Ja. Mutter hatte mich also angezogen und nahm dann mein Gesicht in beide Hände und sagte mir eindringlich, dass ich ins Dorf laufen müsste um die Mannen von dort zu holen. So schnell ich nur konnte, sollte ich dort hin laufen und alle wecken. Ich sollte das wiederholen, was sie mir aufgetragen hatte, aber sie hielt mir die Ohren zu und ich hatte kaum hören können, was sie gesagt hatte, aber verstanden hatte ich es doch. Und doch wieder nicht, denn ich verstand, dass ich laufen sollte und die Mannen holen, aber ich verstand nicht, dass es um Leben und Tod ging, nein, das wusste ich nicht und fürchtete es auch nicht.
Ich lief also los, nicht ohne dass Nota, meine einzige Schwester, mir noch einen Kuss gab, und dann rannte ich auch schon aus der Tür und über den Hof, als die ersten der Räuber über den Zaun kamen. Sie schrien allerlei grausiges Zeug, so was wie Kobold oder Kobalt, aber das meiste davon unverständlich, und ein paar von ihnen hatten große Fackeln.
Und sie schrien Thal, da bin ich ganz sicher, und der eine, der größte von ihnen, schrie es mir direkt ins Gesicht. Dazu musste er sich ganz tief runter beugen, weil ich doch erst acht Lenzen zählte, und das hätte schon ein Schmunzeln bedeutet, wenn der Mann nicht so einen grimmigen und boshaften Blick gehabt hätte. Nicht die Spur davon, dass er vielleicht Kindern nichts antun konnte. Er hat mich nur nicht erwischt.
Denn ich rannte wie verrückt, ich rannte und rannte und kam ganz erschöpft im Dorf an, wo ich erst einmal gar nicht sprechen konnte. Ich zeigte aufgeregt in Richtung unseres Hofes und schluchzte und keuchte und kam nicht zu Stimme. Aber die Mannen verstanden auch so. Sie griffen nach ihren Waffen und rannten los.
Und ich stand da, noch immer keuchend und wollte hinterher, aber die Frauen hielten mich fest. Schließlich gelang es mir, mich loszureißen und ich rannte wie um mein Leben, noch schneller als je zuvor, und da sah ich die letzten der Mannen noch auf den Hof laufen, während die ersten schon stehen geblieben waren vor dem hellgelben Schein, der so aussah als sei die Sonne vom Himmel gefallen und läge jetzt vor uns in einiger Entfernung, direkt dort wo zuvor noch friedlich unser geliebter Hof gelegen hatte.
Alle waren sie tot. Nach einander brachten die Mannen sie aus dem verkohlten Boden hervor, klein, verschmort, zusammengeschrumpft und dennoch so grausam genau zu erkennen. Da lagen sie dann, Nota, die sechs Jahre älter war als ich, und Norwin und Marvin, noch immer bei einander, beide ganz stolz, dass sie schon fünfzehn waren. Und der große Wehrhart, mit seinen siebzehn schon erwachsen, genau wie Wolfger, der ihm ein Jahr voraushatte. Und schließlich die Eltern, Wolfger und Hild, der Vater ein stolzer Viertelhufner in der zweiten Generation. Und nach ihnen der kleinste meiner Brüder, Arved, der gerade erst zwölf geworden war.
Sie hatten sie in eine Reihe gelegt, als wollten sie sie zählen, so viele Tote.
Ich weinte nicht. Ich stand da und sah die Toten an, und dann trug mich der Dorfvogt fort. Er nahm mich einfach so unter den Arm und trug mich fort.
"Wie heißt du nochmal?" fragte er mich dann, als er mir bei sich zuhause im Schuppen eine Schlafstelle zuwies.
"Thal", sagte ich.
"Was? Thal heißt du?" fragte der Vogt und schüttelte dne Kopf.
"Unsinn!" rief da die Frau vom Vogt, die gerade hinzu gekommen war, denn sie kannte mich gut, weil sie immer ein Schwätzchen gehalten hatte mit meiner Mutter, wenn sie bei uns Eier oder Milch gekauft hatte.
"Das ist Murna! Die Huffner Murna!" rief sie.
"Murna", wiederholte der Vogt. "Warum sagst du das denn nicht gleich?"
Und nach einer Pause fügte er hinzu: "Na du wirst dich schon fügen!"
© 2011
Zumindest einer von ihnen hat es mir direkt ins Gesicht geschrien, und dann lief er weiter auf unser Haus zu und ich lief fort.
Die Eltern hatten sie schon gehört, als sie sich unserem Nordzaun näherten, und rasch war Mutter zu uns geeilt und hatte uns in großer Eile angezogen, mich zuerst, was nicht ungewöhnlich war, denn ich war ja die Kleinste und konnte es praktisch nie schnell genug schaffen. Nicht halb so schnell jedenfalls wie Norwin und Marvin, denn die waren immer so stumm, aber rasend schnell. Und stumm waren sie auch nur, wenn jemand anderer in der Nähe war.
Ja. Mutter hatte mich also angezogen und nahm dann mein Gesicht in beide Hände und sagte mir eindringlich, dass ich ins Dorf laufen müsste um die Mannen von dort zu holen. So schnell ich nur konnte, sollte ich dort hin laufen und alle wecken. Ich sollte das wiederholen, was sie mir aufgetragen hatte, aber sie hielt mir die Ohren zu und ich hatte kaum hören können, was sie gesagt hatte, aber verstanden hatte ich es doch. Und doch wieder nicht, denn ich verstand, dass ich laufen sollte und die Mannen holen, aber ich verstand nicht, dass es um Leben und Tod ging, nein, das wusste ich nicht und fürchtete es auch nicht.
Ich lief also los, nicht ohne dass Nota, meine einzige Schwester, mir noch einen Kuss gab, und dann rannte ich auch schon aus der Tür und über den Hof, als die ersten der Räuber über den Zaun kamen. Sie schrien allerlei grausiges Zeug, so was wie Kobold oder Kobalt, aber das meiste davon unverständlich, und ein paar von ihnen hatten große Fackeln.
Und sie schrien Thal, da bin ich ganz sicher, und der eine, der größte von ihnen, schrie es mir direkt ins Gesicht. Dazu musste er sich ganz tief runter beugen, weil ich doch erst acht Lenzen zählte, und das hätte schon ein Schmunzeln bedeutet, wenn der Mann nicht so einen grimmigen und boshaften Blick gehabt hätte. Nicht die Spur davon, dass er vielleicht Kindern nichts antun konnte. Er hat mich nur nicht erwischt.
Denn ich rannte wie verrückt, ich rannte und rannte und kam ganz erschöpft im Dorf an, wo ich erst einmal gar nicht sprechen konnte. Ich zeigte aufgeregt in Richtung unseres Hofes und schluchzte und keuchte und kam nicht zu Stimme. Aber die Mannen verstanden auch so. Sie griffen nach ihren Waffen und rannten los.
Und ich stand da, noch immer keuchend und wollte hinterher, aber die Frauen hielten mich fest. Schließlich gelang es mir, mich loszureißen und ich rannte wie um mein Leben, noch schneller als je zuvor, und da sah ich die letzten der Mannen noch auf den Hof laufen, während die ersten schon stehen geblieben waren vor dem hellgelben Schein, der so aussah als sei die Sonne vom Himmel gefallen und läge jetzt vor uns in einiger Entfernung, direkt dort wo zuvor noch friedlich unser geliebter Hof gelegen hatte.
Alle waren sie tot. Nach einander brachten die Mannen sie aus dem verkohlten Boden hervor, klein, verschmort, zusammengeschrumpft und dennoch so grausam genau zu erkennen. Da lagen sie dann, Nota, die sechs Jahre älter war als ich, und Norwin und Marvin, noch immer bei einander, beide ganz stolz, dass sie schon fünfzehn waren. Und der große Wehrhart, mit seinen siebzehn schon erwachsen, genau wie Wolfger, der ihm ein Jahr voraushatte. Und schließlich die Eltern, Wolfger und Hild, der Vater ein stolzer Viertelhufner in der zweiten Generation. Und nach ihnen der kleinste meiner Brüder, Arved, der gerade erst zwölf geworden war.
Sie hatten sie in eine Reihe gelegt, als wollten sie sie zählen, so viele Tote.
Ich weinte nicht. Ich stand da und sah die Toten an, und dann trug mich der Dorfvogt fort. Er nahm mich einfach so unter den Arm und trug mich fort.
"Wie heißt du nochmal?" fragte er mich dann, als er mir bei sich zuhause im Schuppen eine Schlafstelle zuwies.
"Thal", sagte ich.
"Was? Thal heißt du?" fragte der Vogt und schüttelte dne Kopf.
"Unsinn!" rief da die Frau vom Vogt, die gerade hinzu gekommen war, denn sie kannte mich gut, weil sie immer ein Schwätzchen gehalten hatte mit meiner Mutter, wenn sie bei uns Eier oder Milch gekauft hatte.
"Das ist Murna! Die Huffner Murna!" rief sie.
"Murna", wiederholte der Vogt. "Warum sagst du das denn nicht gleich?"
Und nach einer Pause fügte er hinzu: "Na du wirst dich schon fügen!"
© 2011
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