Saturday, October 30. 2010
Einmalig
Nachdem ich die erste Therapie abgebrochen hatte und sogleich rückfällig geworden war, kam ich zu der plötzlichen Einsicht, dass das Scheißleben doch gar nicht so schlecht sei (nach drei Monaten clean war das Hirn offen für Denkanstöße) und beschloss die Rückkehr in eine Einrichtung nach nur einer Woche. Den Org-Kram erledigten andere, und so würde ich schon nach dem folgenden Wochenende einen Platz in der Entgiftung in Langenhagen haben.
Beni, einer von der Szene in unserer mitteldeutschen Stadt, hatte meine Präsenz mitgekriegt und mich schon kurz nach meinem Eintreffen herzlich begrüßt. Als ich ihn gefragt hatte, wo denn was wie und bei wem so vor sich ging, lachte er mit einem 'ich dachte schon, sie hätten dich umgedreht'.
Später, als die Pupillen schon Stecknadeln waren, grub er mich in einem Eiscafé ganz offen an, während ich mit der mich stets begleitenden H-Übelkeit kämpfte und überlegte, warum der kleine Charmeur plötzlich meine Nähe suchte. Es waren natürlich meine Connections, was sonst. Ich hatte mich aber früher schon nicht für ihn interessiert, warum also sollte ich das jetzt. Je glühender er mir daher die Möglichkeiten schilderte, mit mir in "A'dam" das Paradies zu finden, je weniger verspürte ich ein Interesse daran. Wir verabredeten uns dennoch für einen der nächsten Tage. Es war an einem Donnerstag, dass ich Beni wieder traf, und Scheiße passiert mir immer an einem Donnerstag.
Für Freitag oder Samstag hatten wir uns verabredet, ich weiß es nicht mehr genau, auf jeden Fall ging ich Freitagmorgen zu meiner Mutsch und fragte nach einem Ticket nach Hannover Langenhagen. Es musste jedoch über Westerland führen, denn da hatte ich noch was zu erledigen. Sie fragte nicht was, dazu war sie gerade zu sehr mit sich selbst beschäftigt, aber als sie überlegte, ob sie mir überhaupt Geld geben sollte, redete ihr damaliger Freund (zum Glück heute immer noch ihr Liebhaber) ihr zu, dass man nie genug Chancen kriegen konnte, wie Recht er doch hatte.
So suchte ich, ohne Beni die Enttäuschung persönlich bereitet zu haben, alles Weitere auf Sylt.
Dort fand ich meinen letzten Freund wieder, den, der vor mir abgebrochen hatte, und wollte wissen, ob da noch etwas wäre.
Er war überwältigt von meinem Erscheinen, was ich nicht mal seltsam fand, und wir vergnügten uns stundenlang mit einander; während er mir seine unsterbliche Liebe schwor und mir die Zukunft in noch glühenderen Farben als Beni ausmalte, wusste ich auch beim romantischsten Sonnenaufgang am Strand, der zum Hotel seiner Eltern gehörte, dass das hier zu sehr Hollywood war, um zukunftsträchtig zu sein. Aber was soll's, dachte ich mir, genießen kann man ja trotzdem mal.
Als wir nach einem unserer Stranderlebnisse in seine Gemächer zurückkehrten (der Mensch muss essen), fand er, dass es Zeit wäre, mir einige seiner Pillen anzubieten. Himmel! Ich stand schon in meiner Hard-Core-Abuse-Phase nicht auf so einen Amphi-Dreck, und nachdem sogar die Queen ihren Reiz eingebüßt hatte, war ich jetzt innerlich schon am Packen. In dem Augenblick muste ich wohl schon beschlossen haben, diesen gedopten Lover am besten zu vergessen, denn ich kann mich ums Verrecken nicht an seinen Namen erinnern.
Sein scheiß Timing führte aber dazu, dass ich am Sonntagabend in Hannover eintraf und niemand bereit war, mich in Langenhagen aufzunehmen. Da Bahnhöfe nicht die allerbesten Plätze für Therapiewillige sind, begab ich mich in die Bahnhofsmission, wo man mich mit offenen Armen aufnahm und mir erklärte, ich sei heute auch nicht die einzige dieser verlorenen Seelen.
Und da war Brian. Ich hatte selten ein erleseneres Exemplar der Gattung Mensch gesehen und musste zweimal hinsehen, ob meine Augen mich nicht trogen. Nein, er war echt, und er lächelte, und wir begannen das erste wirklich sinnvolle und interessante Gespräch, das ich seit Wochen geführt hatte.
Dass wir uns nicht unsympathisch waren, wurde uns schon nach wenigen Minuten klar, mehr als Reden war jedoch in dem schaufensterartig offenen Ambiente nicht möglich - und auch gar nicht erlaubt, wohl bemerkt. Das heizte die Bedürfnisse verständlicherweise besonders an. Um diese etwas zu beruhigen, verbrachten wir die Nacht in Feldbetten nebeneinander, unschuldig händchenhaltend.
Am nächsten Tag checkten wir ins LKH ein und kamen vom Regen in die Traufe, denn persönlicher Umgang, wie es hieß, war dort ebenso untersagt wie in dem missionarischen Bahnhofsterrarium. Um das ganze zur Qual werden zu lassen, verhinderten irgendwelche Feiertage (Ostern?) das sonst zweiwöchentliche Verteilen in der Prinzenstraße, von wo aus die Probanden, also wir, auf die verschiedenen Einrichtungen verteilt wurden. Was wiederum bedeutete, dass wir statt der üblichen ein bis zwei Wochen ganze vier Wochen in Langenhagen festsaßen. Anfassen durfte man sich zwar, aber eben nur freundschaftlich, und die vier Wochen waren eine Zerreißprobe besonderer Natur. Denn man hätte sich ja aus dem Wege gehen können, aber das war nicht ganz das, was wir im Sinn hatten. Wir badeten.
Nicht etwa mit einander, das wäre womöglich missinterpretiert worden, und man hatte zu gehen, wenn man missinterpretiert wurde, was dem Schubsen in einen Abgrund nicht unähnlich war. Stattdessen machten wir uns daher wechselseitig das riesige Badezimmer schön (Teelichter aus dem Speisesaal, ungewöhnliche Düfte, geschnorrt von jedem, der Zugang zu so was hatte) und der jenige, der gerade nicht badete, unterhielt den anderen mit Vorlesen, aus nicht ganz so respektvoller Distanz, wohlbemerkt. Das war das erste Mal, dass ich allein in einer Wanne gewissermaßen zur Wonne fand.
Tja, so verlebten wir diese vier Wochen, in denen sich an jedem Tag die Sehnsucht steigerte, aber das war ja ein Bestandteil dessen, was wir zu überkommen wünschten, Sucht nämlich. Und wir mussten uns das ohnehin alles abschminken, welche Träume wir auch immer hegten, denn wenn wir diesmal (für ihn war es auch der zweite Versuch) wirklich erfolgreich sein wollten mit dem gerichteten Überlebenstraining, dann hatte man sich selbst der Nächste zu sein.
Und natürlich verteilte man mich in ein anderes Haus.
Ich ging nach Warfleth am Weserdeich und hörte nicht einmal, wo Brian hingekommen war; ein einzelner Kuss vor der Prinzenstraße hatte Abschied bedeutet. Natürlich hatten wir uns aber versprochen, mehr als einmal, dass wenn wir uns einmal wieder sähen (beide noch clean natürlich), dass wir dann nachholen würden, was wir hatten versäumen müssen.
Ich spare mir an dieser Stelle die schlüpfrigen Details der Therapie, wo offen gelebte Beziehungen sehr wohl erlaubt aber eben zu diskutieren waren. Ich schaffte es also dort durchzukommen, wie weiß ich bis heute nicht genau.
Noch in der so genannten Phase Zwei in Oldenburg (Phase Eins war die Therapie-WG), hatte ich mich gerade von meinem letzten Freund getrennt, gemäß der Regel, wenn man beginnt, nach was anderem Ausschau zu halten, ist es besser zu gehen. Die Zeit des konsumorientierten Ausprobierens meinereiners hatte ich auch schon hinter mir und, nachdem ich mal wieder eines der niedrigen Porzellanbecken umarmt hatte, das andere anderweitig benutzen, sagte ich mir, dass es doch das war, was ich nicht mehr wollte, zumal der Alkohol so eine verheerend gewöhnliche Droge ist, und wurde abstinent. Das hieß nicht, dass meine Freundin Bib und ich uns nicht in den besten Clubs amüsieren konnten, und nach meinem immer wieder erfrischenden Diskoschlaf (auf einem Sofa neben der Tanzfläche, von elf bis eins) tanzte ich gewöhnlich bis gegen vier, und dann begaben wir uns in eine Frühkneipe.
An einem Samstagabend (ich bin an einem Samstag geboren), als ich bereits allein wohnte und ganz offiziell clean und ex und somit frei und, im wahrsten Sinne des Wortes, unabhängig war, machte Bib den Vorschlag, dass wir doch mal den Ort unseres Amüsements verändern könnten (denn nichts ist so ermüdend wie Routine) und die Clubs aufsuchen, die wir nicht so kannten.
Na ja, sicher, ist ja klar, was jetzt kommt, im dritten Club, den wir nach zwei Misserfolgen schließlich als brauchbar einschätzten, stand Brian an der Tür. Er war in unsere Nachbar-Therapie-WG gekommen (die ganze Zeit also nur dreißig Kilometer von mir entfernt) und war daher auch in Oldenburg gelandet. Jetzt war er der Geschäftsführer dieses Clubs und redete gerade mit einem seiner Türsteher. Und er sah wirklich blendend aus!
Mitten im Satz brach er ab mit seinem Angestellten zu reden, gerade als er mich sah und ich ihn auch gesehen hatte, und zwar mit einem ihm gegenüber ganz plötzlichen und ungekannten Herzklopfen, Himmel!
Er trat direkt auf mich zu und küsste mich, was zu einigem Hallo und sogar Geklatsche führte, und dann musste ich mich leider ganz rasch von Bib verabschieden, die, um alle Einzelheiten dieser Brian-Sache wissend, mir verständnisvoll zunickte. Brian wiederum nickte seinem Angestellten zu, und wir gingen, wieder händchenhaltend übrigens.
Da wo ein Gentleman schweigt, sollte auch eine Lady nicht Dinge offenbaren, die in Produkten unserer Vorstellungskraft ihren wohlverdienten Platz haben, daher nur so viel, wir taten alles erdenklich Schöne, und zwar mindestens zweimal.
Nach vielen ungezählten Stunden und mehreren kleineren Mahlzeiten zum Aufrechterhalten der Kräfte, holte uns die Außenwelt ein, und zwar in Gestalt seines Angestellten, der (es gab damals noch keine Mobiltelefone) an die Tür hämmerte, weil der Chef gebraucht wurde und das Festnetz ausgehängt war. Letzteres hatten wir nicht einmal absichtlich getan, der Hörer musste in der Ekstase irgendwie von der Gabel gerutscht sein.
Tja, so war das, und es war perfekt, und genau deshalb wussten wir, dass es das war, die perfekte und daher einmalige Liebe. Ich sah ihn nie wieder.
Ich für meinen Teil verließ wenig später Oldenburg in Richtung London, und er verblieb, so hörte ich, zunächst in seiner Disko. Später eröffnete er in Oldenburg das erste Saunazentrum (nichts Frivoles, richtig Sauna über mehrere Etagen), das sehr erfolgreich war. Und dann hörte ich, dass das Schicksal Hohn und Spott über ihn ausgegossen hatte, denn auf dem Höhepunkt seines Lebens und seiner Karriere, noch keine vierzig, hatt er einen tödlichen Unfall mit seinem Surfbrett.
Das ist nicht traurig, lange nicht so traurig wie wenige Jahre später Crissy, jene ach so naive Amerikanerin, die zum Studieren nach Deutschland gekommen war und mich als beginnende Orientalistin für eine Expertin in Sachen arabischer Männer hielt. Ob sie, einundzwanzig, mit ihrem Freund schlafen sollte, er wäre der erste, und ihre Eltern wollten doch, dass sie sich aufsparte. Ich sagte ihr, dass ich keinen Schimmer vom arabischen Mann hätte, nur vom Mann allgemein, und was der wolle, sei klar, aber ebenso seien ja wohl auch Frauen gestrickt. Daher solle sie sich überlegen, was sie wolle, nicht was andere von ihr wollten. Ob sie das beherzigte, weiß ich nicht, aber wenige Wochen später war sie tot; auf dem Weg nach Spanien war der Fahrer ihrer Mitfahrgelegenheit am Steuer eingeschlafen.
Das ist traurig. Brian hingegen hatte gelebt, und er war eine Offenbarung. Einmalig.
© 2010
für Marcel
Beni, einer von der Szene in unserer mitteldeutschen Stadt, hatte meine Präsenz mitgekriegt und mich schon kurz nach meinem Eintreffen herzlich begrüßt. Als ich ihn gefragt hatte, wo denn was wie und bei wem so vor sich ging, lachte er mit einem 'ich dachte schon, sie hätten dich umgedreht'.
Später, als die Pupillen schon Stecknadeln waren, grub er mich in einem Eiscafé ganz offen an, während ich mit der mich stets begleitenden H-Übelkeit kämpfte und überlegte, warum der kleine Charmeur plötzlich meine Nähe suchte. Es waren natürlich meine Connections, was sonst. Ich hatte mich aber früher schon nicht für ihn interessiert, warum also sollte ich das jetzt. Je glühender er mir daher die Möglichkeiten schilderte, mit mir in "A'dam" das Paradies zu finden, je weniger verspürte ich ein Interesse daran. Wir verabredeten uns dennoch für einen der nächsten Tage. Es war an einem Donnerstag, dass ich Beni wieder traf, und Scheiße passiert mir immer an einem Donnerstag.
Für Freitag oder Samstag hatten wir uns verabredet, ich weiß es nicht mehr genau, auf jeden Fall ging ich Freitagmorgen zu meiner Mutsch und fragte nach einem Ticket nach Hannover Langenhagen. Es musste jedoch über Westerland führen, denn da hatte ich noch was zu erledigen. Sie fragte nicht was, dazu war sie gerade zu sehr mit sich selbst beschäftigt, aber als sie überlegte, ob sie mir überhaupt Geld geben sollte, redete ihr damaliger Freund (zum Glück heute immer noch ihr Liebhaber) ihr zu, dass man nie genug Chancen kriegen konnte, wie Recht er doch hatte.
So suchte ich, ohne Beni die Enttäuschung persönlich bereitet zu haben, alles Weitere auf Sylt.
Dort fand ich meinen letzten Freund wieder, den, der vor mir abgebrochen hatte, und wollte wissen, ob da noch etwas wäre.
Er war überwältigt von meinem Erscheinen, was ich nicht mal seltsam fand, und wir vergnügten uns stundenlang mit einander; während er mir seine unsterbliche Liebe schwor und mir die Zukunft in noch glühenderen Farben als Beni ausmalte, wusste ich auch beim romantischsten Sonnenaufgang am Strand, der zum Hotel seiner Eltern gehörte, dass das hier zu sehr Hollywood war, um zukunftsträchtig zu sein. Aber was soll's, dachte ich mir, genießen kann man ja trotzdem mal.
Als wir nach einem unserer Stranderlebnisse in seine Gemächer zurückkehrten (der Mensch muss essen), fand er, dass es Zeit wäre, mir einige seiner Pillen anzubieten. Himmel! Ich stand schon in meiner Hard-Core-Abuse-Phase nicht auf so einen Amphi-Dreck, und nachdem sogar die Queen ihren Reiz eingebüßt hatte, war ich jetzt innerlich schon am Packen. In dem Augenblick muste ich wohl schon beschlossen haben, diesen gedopten Lover am besten zu vergessen, denn ich kann mich ums Verrecken nicht an seinen Namen erinnern.
Sein scheiß Timing führte aber dazu, dass ich am Sonntagabend in Hannover eintraf und niemand bereit war, mich in Langenhagen aufzunehmen. Da Bahnhöfe nicht die allerbesten Plätze für Therapiewillige sind, begab ich mich in die Bahnhofsmission, wo man mich mit offenen Armen aufnahm und mir erklärte, ich sei heute auch nicht die einzige dieser verlorenen Seelen.
Und da war Brian. Ich hatte selten ein erleseneres Exemplar der Gattung Mensch gesehen und musste zweimal hinsehen, ob meine Augen mich nicht trogen. Nein, er war echt, und er lächelte, und wir begannen das erste wirklich sinnvolle und interessante Gespräch, das ich seit Wochen geführt hatte.
Dass wir uns nicht unsympathisch waren, wurde uns schon nach wenigen Minuten klar, mehr als Reden war jedoch in dem schaufensterartig offenen Ambiente nicht möglich - und auch gar nicht erlaubt, wohl bemerkt. Das heizte die Bedürfnisse verständlicherweise besonders an. Um diese etwas zu beruhigen, verbrachten wir die Nacht in Feldbetten nebeneinander, unschuldig händchenhaltend.
Am nächsten Tag checkten wir ins LKH ein und kamen vom Regen in die Traufe, denn persönlicher Umgang, wie es hieß, war dort ebenso untersagt wie in dem missionarischen Bahnhofsterrarium. Um das ganze zur Qual werden zu lassen, verhinderten irgendwelche Feiertage (Ostern?) das sonst zweiwöchentliche Verteilen in der Prinzenstraße, von wo aus die Probanden, also wir, auf die verschiedenen Einrichtungen verteilt wurden. Was wiederum bedeutete, dass wir statt der üblichen ein bis zwei Wochen ganze vier Wochen in Langenhagen festsaßen. Anfassen durfte man sich zwar, aber eben nur freundschaftlich, und die vier Wochen waren eine Zerreißprobe besonderer Natur. Denn man hätte sich ja aus dem Wege gehen können, aber das war nicht ganz das, was wir im Sinn hatten. Wir badeten.
Nicht etwa mit einander, das wäre womöglich missinterpretiert worden, und man hatte zu gehen, wenn man missinterpretiert wurde, was dem Schubsen in einen Abgrund nicht unähnlich war. Stattdessen machten wir uns daher wechselseitig das riesige Badezimmer schön (Teelichter aus dem Speisesaal, ungewöhnliche Düfte, geschnorrt von jedem, der Zugang zu so was hatte) und der jenige, der gerade nicht badete, unterhielt den anderen mit Vorlesen, aus nicht ganz so respektvoller Distanz, wohlbemerkt. Das war das erste Mal, dass ich allein in einer Wanne gewissermaßen zur Wonne fand.
Tja, so verlebten wir diese vier Wochen, in denen sich an jedem Tag die Sehnsucht steigerte, aber das war ja ein Bestandteil dessen, was wir zu überkommen wünschten, Sucht nämlich. Und wir mussten uns das ohnehin alles abschminken, welche Träume wir auch immer hegten, denn wenn wir diesmal (für ihn war es auch der zweite Versuch) wirklich erfolgreich sein wollten mit dem gerichteten Überlebenstraining, dann hatte man sich selbst der Nächste zu sein.
Und natürlich verteilte man mich in ein anderes Haus.
Ich ging nach Warfleth am Weserdeich und hörte nicht einmal, wo Brian hingekommen war; ein einzelner Kuss vor der Prinzenstraße hatte Abschied bedeutet. Natürlich hatten wir uns aber versprochen, mehr als einmal, dass wenn wir uns einmal wieder sähen (beide noch clean natürlich), dass wir dann nachholen würden, was wir hatten versäumen müssen.
Ich spare mir an dieser Stelle die schlüpfrigen Details der Therapie, wo offen gelebte Beziehungen sehr wohl erlaubt aber eben zu diskutieren waren. Ich schaffte es also dort durchzukommen, wie weiß ich bis heute nicht genau.
Noch in der so genannten Phase Zwei in Oldenburg (Phase Eins war die Therapie-WG), hatte ich mich gerade von meinem letzten Freund getrennt, gemäß der Regel, wenn man beginnt, nach was anderem Ausschau zu halten, ist es besser zu gehen. Die Zeit des konsumorientierten Ausprobierens meinereiners hatte ich auch schon hinter mir und, nachdem ich mal wieder eines der niedrigen Porzellanbecken umarmt hatte, das andere anderweitig benutzen, sagte ich mir, dass es doch das war, was ich nicht mehr wollte, zumal der Alkohol so eine verheerend gewöhnliche Droge ist, und wurde abstinent. Das hieß nicht, dass meine Freundin Bib und ich uns nicht in den besten Clubs amüsieren konnten, und nach meinem immer wieder erfrischenden Diskoschlaf (auf einem Sofa neben der Tanzfläche, von elf bis eins) tanzte ich gewöhnlich bis gegen vier, und dann begaben wir uns in eine Frühkneipe.
An einem Samstagabend (ich bin an einem Samstag geboren), als ich bereits allein wohnte und ganz offiziell clean und ex und somit frei und, im wahrsten Sinne des Wortes, unabhängig war, machte Bib den Vorschlag, dass wir doch mal den Ort unseres Amüsements verändern könnten (denn nichts ist so ermüdend wie Routine) und die Clubs aufsuchen, die wir nicht so kannten.
Na ja, sicher, ist ja klar, was jetzt kommt, im dritten Club, den wir nach zwei Misserfolgen schließlich als brauchbar einschätzten, stand Brian an der Tür. Er war in unsere Nachbar-Therapie-WG gekommen (die ganze Zeit also nur dreißig Kilometer von mir entfernt) und war daher auch in Oldenburg gelandet. Jetzt war er der Geschäftsführer dieses Clubs und redete gerade mit einem seiner Türsteher. Und er sah wirklich blendend aus!
Mitten im Satz brach er ab mit seinem Angestellten zu reden, gerade als er mich sah und ich ihn auch gesehen hatte, und zwar mit einem ihm gegenüber ganz plötzlichen und ungekannten Herzklopfen, Himmel!
Er trat direkt auf mich zu und küsste mich, was zu einigem Hallo und sogar Geklatsche führte, und dann musste ich mich leider ganz rasch von Bib verabschieden, die, um alle Einzelheiten dieser Brian-Sache wissend, mir verständnisvoll zunickte. Brian wiederum nickte seinem Angestellten zu, und wir gingen, wieder händchenhaltend übrigens.
Da wo ein Gentleman schweigt, sollte auch eine Lady nicht Dinge offenbaren, die in Produkten unserer Vorstellungskraft ihren wohlverdienten Platz haben, daher nur so viel, wir taten alles erdenklich Schöne, und zwar mindestens zweimal.
Nach vielen ungezählten Stunden und mehreren kleineren Mahlzeiten zum Aufrechterhalten der Kräfte, holte uns die Außenwelt ein, und zwar in Gestalt seines Angestellten, der (es gab damals noch keine Mobiltelefone) an die Tür hämmerte, weil der Chef gebraucht wurde und das Festnetz ausgehängt war. Letzteres hatten wir nicht einmal absichtlich getan, der Hörer musste in der Ekstase irgendwie von der Gabel gerutscht sein.
Tja, so war das, und es war perfekt, und genau deshalb wussten wir, dass es das war, die perfekte und daher einmalige Liebe. Ich sah ihn nie wieder.
Ich für meinen Teil verließ wenig später Oldenburg in Richtung London, und er verblieb, so hörte ich, zunächst in seiner Disko. Später eröffnete er in Oldenburg das erste Saunazentrum (nichts Frivoles, richtig Sauna über mehrere Etagen), das sehr erfolgreich war. Und dann hörte ich, dass das Schicksal Hohn und Spott über ihn ausgegossen hatte, denn auf dem Höhepunkt seines Lebens und seiner Karriere, noch keine vierzig, hatt er einen tödlichen Unfall mit seinem Surfbrett.
Das ist nicht traurig, lange nicht so traurig wie wenige Jahre später Crissy, jene ach so naive Amerikanerin, die zum Studieren nach Deutschland gekommen war und mich als beginnende Orientalistin für eine Expertin in Sachen arabischer Männer hielt. Ob sie, einundzwanzig, mit ihrem Freund schlafen sollte, er wäre der erste, und ihre Eltern wollten doch, dass sie sich aufsparte. Ich sagte ihr, dass ich keinen Schimmer vom arabischen Mann hätte, nur vom Mann allgemein, und was der wolle, sei klar, aber ebenso seien ja wohl auch Frauen gestrickt. Daher solle sie sich überlegen, was sie wolle, nicht was andere von ihr wollten. Ob sie das beherzigte, weiß ich nicht, aber wenige Wochen später war sie tot; auf dem Weg nach Spanien war der Fahrer ihrer Mitfahrgelegenheit am Steuer eingeschlafen.
Das ist traurig. Brian hingegen hatte gelebt, und er war eine Offenbarung. Einmalig.
© 2010
für Marcel
Friday, October 8. 2010
der analytiker
er sieht mir beim essen zu, wie soll ich nur kauen? freude macht es ihm nicht, auch nicht dass er herkam. er fühlt schon, es fehlt ihm was. und nicht etwa mehr. er wünscht sich weniger, vielleicht sogar gar nichts.
dann zeige ich ihm die ersten bilder. er lehnt sich ganz weit zurück, entfernt sich von ihrem einfluss. das erste versteht er nicht. dann sieht er das nächste und weiß es doch schon, dass es nicht im mindesten taugt, wozu es noch anschaun. es fehlt ihm dieses und jenes, vor allem humor.
mir schwindet mein lächeln, das mir bis dahin die bilder herbeigezaubert hatten. ich seh es jetzt auch schon, das nichts. ich erzähl ihm davon, doch er will es nicht wissen. das hat nichts mit ihm zu tun, sagt er, keines der bilder ähnelt ihm nur im geringsten.
dann redet er geister herbei, die er einst gefürchtet hat und stellt sie mir vor. ich frage nur schwach, ob die bilder nicht schöner als geister sind. jetzt winkt er verächtlich ab, ich sei zu verkopft und wisse es nicht, was ich da fühlte.
mir kriecht ein engpass durch die kehle, ich kann kaum noch schlucken. ich flüstere alles, was mir fehlt und zeige mich traurig. da will er nur weg und wirft mir vor, ich hätte zu viele farben und noch mehr licht verloren.
und jetzt wird er gehen, bringt er mich dann zum schweigen, denn er allein hat erkannt, wie es geht. er zeichnet pastell, doch niemals in farbe, verschwendet nie töne für eine melodie, er sammelt das schwarz und das grau aus dem hinterräumen und schmiert mir die bilder zu. das nennt er zwar auch nicht humor, aber hier ist er sicher, es fehlt ihm nichts.
doch merkt er es nicht, während er systematisch alles verdunkelt, dass ich meine bilder durch glas betrachte. ich stoß mir den zeh im dunkeln und sammle die tränen stück für stück ein. und während er heimgeht mit nichts, finden die bilder durch das vom regen gereinigte glas ihre wege zurück zu mir.
ein paar tage noch und ich kann wieder lachen.
© 2010
für um
dann zeige ich ihm die ersten bilder. er lehnt sich ganz weit zurück, entfernt sich von ihrem einfluss. das erste versteht er nicht. dann sieht er das nächste und weiß es doch schon, dass es nicht im mindesten taugt, wozu es noch anschaun. es fehlt ihm dieses und jenes, vor allem humor.
mir schwindet mein lächeln, das mir bis dahin die bilder herbeigezaubert hatten. ich seh es jetzt auch schon, das nichts. ich erzähl ihm davon, doch er will es nicht wissen. das hat nichts mit ihm zu tun, sagt er, keines der bilder ähnelt ihm nur im geringsten.
dann redet er geister herbei, die er einst gefürchtet hat und stellt sie mir vor. ich frage nur schwach, ob die bilder nicht schöner als geister sind. jetzt winkt er verächtlich ab, ich sei zu verkopft und wisse es nicht, was ich da fühlte.
mir kriecht ein engpass durch die kehle, ich kann kaum noch schlucken. ich flüstere alles, was mir fehlt und zeige mich traurig. da will er nur weg und wirft mir vor, ich hätte zu viele farben und noch mehr licht verloren.
und jetzt wird er gehen, bringt er mich dann zum schweigen, denn er allein hat erkannt, wie es geht. er zeichnet pastell, doch niemals in farbe, verschwendet nie töne für eine melodie, er sammelt das schwarz und das grau aus dem hinterräumen und schmiert mir die bilder zu. das nennt er zwar auch nicht humor, aber hier ist er sicher, es fehlt ihm nichts.
doch merkt er es nicht, während er systematisch alles verdunkelt, dass ich meine bilder durch glas betrachte. ich stoß mir den zeh im dunkeln und sammle die tränen stück für stück ein. und während er heimgeht mit nichts, finden die bilder durch das vom regen gereinigte glas ihre wege zurück zu mir.
ein paar tage noch und ich kann wieder lachen.
© 2010
für um
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